Whatever Happens Next

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Ein Mann steigt einfach aus seinem Leben aus, lässt sich treiben, hält kurz der Liebe wegen an und treibt weiter. Was wie der Wunschtraum gestresster Mittvierziger klingt: einfach mal weg und sehen, was läuft, kann trotz guter darstellerischer Leistungen nicht recht überzeugen und bleibt letztlich eine melancholische, in die Länge gezogene Aussteigergeschichte ohne große Höhepunkte. Dabei ist der Grundgedanke wirklich interessant. Und die kleinen Auftritte bekannter deutscher Film- und Theatergrößen machen richtig Spaß.

Webseite: whatever-happens-next.com

Deutschland 2018
Regie und Buch: Julian Pörksen
Darsteller: Sebastian Rudolph, Lilith Stangenberg, Peter René Lüdicke, Christine Hoppe,
Eike Weinreich, Hanns Zischler, Henning Peker, Eva Löbau, Niels Bormann, Monika Lennartz
Länge: 98 Minuten
Verleih: StoryBay Cinema
Kinostart: 8. November 2018

FILMKRITIK:

Paul, Anfang 40, verlässt sein schmuckes Häuschen, steigt aufs Fahrrad und fährt zur Arbeit. Unterwegs hält er an, steigt vom Rad, stellt es an einem Weidezaun ab, pflanzt den Helm auf einen Zaunpfosten und läuft querfeldein. Nach ein paar Metern fliegt noch die Fahrradklammer in hohem Bogen nach hinten. Dieser verheißungsvolle Start begleitet den Vorspann und wird abgelöst von einem Insert „3 Monate später“. Es folgt eine von vielen Begegnungen Pauls mit seinen Mitmenschen. Hier ist es ein Friedhofsgärtner, der gerade ein paar Gießkannen gekauft hat und auf dem Beifahrersitz seines geparkten Wagens Paul vorfindet, der mitfahren möchte. Die nächste Station ist eine Trauerfeier, der sich Paul anschließt, indem er vorgibt, ein Familienangehöriger zu sein. Die Familie, die ihn von dort aus mitnimmt, wirft ihn aus dem Auto, weil er als Lügner entlarvt wird.
 
Schon der Beginn zeigt die Probleme, mit denen der Film zu kämpfen hat. Paul ist nicht so recht sympathisch, und im Verlauf der Handlung ändert sich das wenig. Schade! Hätte man die Gelegenheit gehabt, ihn näher kennenzulernen, ihn besser zu verstehen oder mit ihm zu fühlen, dann könnte seine Geschichte deutlich spannender sein. Aber dieser Paul schnorrt seine Mitmenschen an, und meistens lügt er dafür, er macht sich oft unbeliebt, seine Art scheint auf andere bedrohlich zu wirken, und es bleibt unklar, was ihn antreibt. Später verschlägt es ihn nach Polen, und er wird Zeuge, wie ein Mann vor ihm zusammenbricht. Dadurch gelangt er mit ins Krankenhaus, wo er versorgt wird. Er bekommt ein Bett, neue Schuhe, etwas zu essen und bleibt bei dem Komapatienten. Ein merkwürdiger Junge, der er selbst sein könnte, wird im Krankenhaus zu seinem Gefährten. All das macht wenig mit Paul. Auch als er Nele begegnet, einer verwirrten jungen Frau, die dringend Hilfe braucht, sogar als er sich in sie verliebt, ändert das kaum etwas. Paul ist sozusagen die Extremform eines Fatalisten: Es ist, wie es ist. Eine Hauptfigur, die weitgehend passiv bleibt – das ist eine große Herausforderung für Autoren. Aber vielleicht wollte Julian Pörksen in seinem Kinoerstling etwas ganz Besonderes wagen?
 
Offensichtlich absichtsvoll wurde auf jede Art von Vorgeschichte verzichtet. Auch das ist schade. Was den Film letztlich so problematisch macht, ist seine Ambivalenz und daraus folgernd eine Unentschlossenheit, die sich in Pauls Person und in seiner demonstrativen Nicht-Entwicklung zeigt, die vielleicht gar nicht beabsichtigt ist. Er präsentiert sich bestenfalls als Landstreicher aus eigenem Wunsch, eine Art idealistischer oder idealisierter Obdachloser, der – erfüllt von Melancholie – ziellos dahintreibt und gelegentlich den Moment genießt. Die Menschen, denen Paul begegnet, sind meistens interessante, gut gezeichnete Persönlichkeiten: ein arroganter Familienvater (Niels Bohrmann) und seine Gattin (Eva Löbau), eine demente Frau (Monika Lennartz), ein todkranker, reicher Mann (Hanns Zischler), ein Student (Eike Weinreich) … Die Theater- und Filmprominenz in diesen kleinen Rollen zu sehen, ist dann tatsächlich ein kleines Highlight. Später, als Paul in Polen ist, gesellen sich Nele, der Arzt und der Junge dazu. Sie alle teilen einen kurzen Abschnitt ihres Lebens mit Paul.
 
Beinahe ständig lächelnd spielt Sebastian Rudolph den indifferenten Un-Helden als Mann ohne besondere Eigenschaften, abgesehen von einer leichten Traurigkeit, die ihn zu erfüllen scheint. Da ist sehr wenig Eleganz oder Charme, Paul ist eher rumpelig. Lilith Stangenberg ist als Nele hypernervös bis nervig, ein ge- und verstörtes zu groß gewordenes Kind – eigentlich ein guter Gegensatz zu dem beinahe apathischen Paul. Dem Detektiv Ulrich Klinger gibt Peter René Lüdicke eine gewisse Tiefe. Er versucht, eine Geschichte zu erzählen, und macht dadurch die Nebenrolle zur interessanten Figur.
 
Möglicherweise geht es hier um die allgemeine Sinnsuche eines bestimmten Typus Mann, der keine Ziele und Wünsche mehr hat. Vielleicht sollte dafür eine Erzählform gefunden werden, die mehr vom Publikum erwartet als den reinen Konsum. Das wäre dann zwar alles nicht neu, aber immerhin eine Interpretation. Doch ob das Publikum dafür den Weg ins Kino findet, bleibt zweifelhaft.
 
Gaby Sikorski