Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein

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Mit seinem im Jahr 2008 erschienenen Roman „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ verarbeitete der Schriftsteller André Heller die Beziehung zu seinem Vater und erging sich dabei in überbordender Phantasie. Nun gibt es den nicht minder magischen Film, der vom zwölfjährigen Paul Silberstein erzählt, der die Demütigungen des Vaters und der Pfarrer im Internat nicht an sich herankommen lässt und sich stattdessen in eine Welt flüchtet, in der das Merkwürdige und Seltsame zelebriert wird. Der Film zelebriert es auch und ist trotz Überlänge keine Sekunde langweilig.

Webseite: http://wie-ich-lernte.de

Österreich 2018
Regie: Rupert Henning
Buch: Rupert Henning, Uli Brée
Darsteller: Valentin Hagg, Karl Markovics, Sabine Timoteo
Länge Auswertung Kino: 140 Minuten
FSK: ab 12 J.
Verleih: Piffl Medien
Kinostart: 25. April 2019

FILMKRITIK:

Ende der 1950er Jahre in Wien: Zu seinem Vater Roman Silberstein (Karl Markovics) hat der zwölfjährige Paul (Valentin Hagg) keine besonders gute Beziehung. Der Mann, der während des Krieges ins Exil gehen musste, vom Judentum zu Katholizismus konvertiert ist, und vermögend in die Heimat zurückkehrte, ist kalt und unnahbar. Jemand, der mit sich selbst nicht im Reinen ist. Ganz anders als der kleine Paul, der gerne als merkwürdig oder seltsam beschrieben wird, aber Wege findet, sich der strengen Hierarchie zuhause oder im Internat zu entziehen. Indem er ein junges Fräulein verehrt, das er nie getroffen hat und dennoch liebt, indem er das Anderssein zelebriert und zum „funkelnden Hundling“ wird – auch wenn er noch ein Leben lang brauchen wird, um herauszufinden, was das alles beinhaltet.

Es ist ein ungewöhnlicher Film, den Rupert Henning hier präsentiert. Einer, der auf André Hellers Buch basiert, aber dennoch eigene Wege geht, weil er mit dem Medium des bewegten Bilds noch weit mehr Möglichkeiten hat, den Zuschauer in die traumhafte Welt der Hauptfigur zu entführen. Er nutzt literarische Kniffe, indem er den Zuschauer an den Gedanken des kleinen Pauls teilhaben lässt, die Visualisierung ist es aber, die ihresgleichen sucht. Weil Henning hier ein Terrain betritt, das das deutschsprachige Kino nur selten beschreitet: Ein surreales Sammelsurium, das mit seinem Hang zum Skurrilen immer wieder die Lachmuskeln anregt. Aber „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ ist nicht nur ein Film, der wirkt, als hätten Tim Burton und Luchino Visconti ein Kind der Liebe gezeugt, sondern auch ein in ernsten Momenten schwelgendes Familiendrama, in dem es um das Erwachsenwerden eines Jungen geht.

Die Figuren sind durch die Bank interessant gestaltet. Pauls Mutter entzieht sich dem Vater durch ausdauernde Bäder, der Bruder wiederum ist nicht nur steif und unnahbar, sondern vergräbt sich in seiner Briefmarkensammlung, und Roman Silbersteins drei Brüder sind ausgesprochen absurde Figuren. Der eine will dem kleinen Paul später beibringen, wie man einen richtigen Orgasmus haben kann (ohne die eigene Lebenskraft zu verlieren), der andere ermöglicht ihm den Blick zurück auf eine Zeit, als Synagogen brannten, und der Dritte leidet an dem, was alle Silbersteins befallen hat: Er neigt zum totalen Überreagieren. Aber Paul, so die Hoffnung der Mutter, könnte von dieser Charaktereigenschaft ja verschont worden sein.

„Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“ ist ein sehr verspielter, immer wieder überraschender Film mit einer überragenden Neuentdeckung: In seinem Debüt brilliert Valentin Hagg mit einer Darstellung, die es in sich hat. Er versteht es, sowohl die Weisheit, die der jungen Figur innewohnt, zu verkörpern, als auch den unbedingten Willen zum Merkwürdigen, was sich in einigen grandiosen Szenen wiederspiegelt. Etwa dann, als der Junge vor seiner Mutter und seinem Bruder unvermittelt zu tanzen beginnt, untermalt von ausgesprochen beschwingter Musik. Überhaupt ist die musikalische Auswahl wundervoll, weil sie immer die Stimmung einfängt, tonal und stilistisch aber auch herrlich unterschiedlich ist.

Dieser Film, der mit knapp zweieinhalb Stunden Laufzeit daherkommt, ist ein echtes Juwel, das dem Außenseitertum mit seiner prickelnden Kinomagie ein Denkmal setzt, zugleich aber auch ein in den richtigen Momenten stilles Drama über den Konflikt der Kriegs- mit der Nachkriegsgeneration ist.

Peter Osteried