Wir alle. Das Dorf

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Dörfer sind in der Regel natürlich gewachsene Gemeinschaften, und das über oft Jahrhunderte hinweg. Der Dokumentarfilm „Wir alle. Das Dorf“ erzählt aber von dem spannenden Versuch, ein neues Dorf zu errichten. Eines, in dem 100 ältere, 100 jüngere und 100 geflüchtete Menschen leben sollen. Doch die Verwirklichung dieses Traums kommt mit ungeahnten Schwierigkeiten einher. Ein ruhiger, schöner, in seiner Simplizität bezaubernder Dokumentarfilm.

Website: www.koberstein-film.de/

Dokumentarfilm
Deutschland 2021
Regie: Claire Roggan, Antonia Traulsen
Länge: 88 Minuten
Verleih: Koberstein Film
Kinostart: 22.7.2021

FILMKRITIK:

Vom Leben auf dem Land träumen viele. Vor allem Leute aus der Großstadt, die die Ruhe und die Entschleunigung schätzen – oder sie sich zumindest erhoffen. Das Problem: In ein bestehendes Dorf zu ziehen, ist immer schwierig, weil man nie einer der „echten“ Einheimischen sein wird. Das ist einem lesbischen Paar in „Wir alle. Das Dorf“ noch mehr bewusst, als vielen anderen, die sich diesem Ziel, ein neues Dorf zu erschaffen, verschrieben haben.

Eine Genossenschaft wird gegründet, Land wird erworben, Interessenten werden gefunden. Es wird von einem anderen Leben geträumt. Grundstücke werden abgesteckt, Häuser werden geplant, aber schon hier zeigt sich. Nicht jeder hat dieselben Vorstellungen. Während die einen eine moderne Gestaltung mit einer Küche und einem Wohnzimmer ohne Abtrennung wünschen, sind es vor allem Menschen aus anderen Teilen der Welt, die sich etwas ganz anderes vorstellen: Sie wollen eine abgetrennte Küche. Etwas, das es zu bedenken gilt, was aber erst spät im Prozess auffällt.

Der wird ohnehin verzögert, wo es nur geht. Nicht nur, weil Ämter langsam arbeiten, sondern auch, weil angrenzende Gemeinden ein Problem mit den baldigen, neuen Nachbarn haben. Diese Menschen kommen hier nicht zu Wort, weil sie das nicht wollen. Sie fürchten wohl, bigott dazustehen, weil das wohl einzige Kriterium, warum dieses neue Dorf ihnen ein Dorn im Auge ist, der hohe Anteil an „Ausländern“ ist.

In erster Linie geht es in „Wir alle. Das Dorf“ um einen Traum. Um das Leben in einer Gemeinschaft, in der jeder jeden kennt und in der man sich aufeinander verlassen kann. Was hier entstehen soll, ist im Grunde die Anthi-These zum anonymen Leben in der Großstadt. Hier packt jeder an, auch und gerade, was den Bau der Häuser betrifft, da so die Kosten auch niedriger gehalten werden können.

Über mehrere Jahre hinweg verfolgen die Filmemacher die Entwicklung dieses Dorfs, von den ersten Treffen der Genossen über den ersten Spatenstich und das dritte Richtfest bis in den Sommer 2020, als einige Häuser schon stehen. Aber der Film kann nur eine Momentaufnahme sein, dieses Dorf ist immer noch „work in progress“ und wird in seiner Entstehung noch Jahre bedürfen. So mancher, der von diesem Dorf geträumt hat, wird – wenn es irgendwann fertig ist – vielleicht gar nicht mehr da sein, aber die Vision, die dahintersteht, die wird weiterleben.

Peter Osteried