Wir sind alle erwachsen

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Töchter und Väter, ein universales Thema mit Variationen. Mit ihrer erfrischenden Coming-of-Age Komödie „Wir sind alle erwachsen“ um Eigenständigkeit, Selbstbehauptung und Loslassen lotet die französisch-schwedische Regisseurin Anna Novion zusammen mit ihrem Vater, dem Kameramann Pierre Novion, die Untiefen beim Erwachsenwerden aus. Dabei gelingen der 27jährigen Debütantin in ihrem ersten Spielfilm Bildkompositionen, die in ihrer leicht beschwingten Art an den Nouvelle-Vague-Lyriker Jacques Rozier erinnern.

Webseite: www.wir-sind-alle-erwachsen.de

Schweden/Frankreich 2008
Regie: Anna Novion
Darsteller: Lia Boysen, Jakob Eklund, Jean-Pierre Darroussin, Anastasios Soulis, Björn Granath, Anaïs Demoustier, Judith Henry
Drehbuch: Béatrice Colombier, Anne Novion, Mathieu Robin
Länge: 84 Minuten
Verleih:  Alamode Film (24 Bilder)
Kinostart: 7.5.2009

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

„Ich hasse solche Situationen“, bekennt Albert (Jean-Pierre Darroussin) irritiert seiner heranwachsenden Tochter Jeanne, „zu viert kann das schnell unerträglich werden“. Grund: Gezwungenermaßen müssen sich die beiden ihr traumhaftes Ferienhaus auf einer kleinen schwedischen Halbinsel mit der skandinavischen Vermieterin Annika Carlsson und ihrer Freundin, der lebenslustigen Kostümbildnerin Christine (Judith Henry), teilen. Denn Annika rechnete erst eine Woche später mit der Ankunft ihrer Gäste.
 

Überraschungen erfreuen den zwanghaften Bibliothekar jedoch generell wenig. Penibel plant der frustrierte Alleinerziehende alljährlich den gemeinsamen Urlaub. Die schüchterne 17jährige (Anaïs Demoustier) blüht dagegen in dieser unverhofften Wohngemeinschaft auf. Langsam beginnt sie sich von ihrem dominanten, etwas verschroben wirkenden Vater abzunabeln. Der jedoch zeigt dafür wenig Verständnis. Agiert er doch selbst wie ein kleiner Junge. Ausgerüstet mit einem Metalldetektor sucht er eifrig nach dem verschollenen Schatz des legendären Wikingers Jon-Olof Vittfön.

Jeanne, die nicht mehr wie ein Kind behandelt werden will, begeistert sich für seinen Spleen nur mäßig. „Du hast mich nie gefragt, was ich will“, klagt sie, als die Jungs am Urlaubsort ein Auge auf sie werfen und dem Vater die Kontrolle zu entgleiten droht. Doch nicht nur für Jeanne steht ein Reifeprozess an. Auch die Erwachsenen müssen sich von einigen ihrer Lebenslügen trennen.

Das Spielfilmdebüt der erst 27-jährigen französischen Nachwuchs-Regisseurin Anne Novion überzeugt durch seine entspannte Erzählweise und humorvolle Leichtigkeit. Mit viel Gespür für die kleinen Absurditäten des menschlichen Zusammenleben und Liebe zum Detail zeichnet sie ihre Figuren in langen Einstellungen klischeefrei. Dabei gibt sie ihre Protagonisten samt ihren Schwächen nie der Lächerlichkeit preis. Nicht zuletzt durch die beeindruckende Präsenz ihrer vielversprechenden Hauptdarstellerin strahlt ihre sympathische Coming-of-Age Geschichte menschliche Wärme aus.

Darüber hinaus beweist ihr Werk wie erfolgreich eine Vater-Tochter-Beziehung funktionieren kann: Vater, Pierre Novion, der bereits mit Jean Luc-Godard drehte, setzt die lyrischen Bildkompositionen seiner Tochter hervorragend um. Seine Kamera visualisiert die bizarre Landschaft der schwedischen Inselwelt mit ihrem unglaublichen Licht eindringlich. Eine stimmige Vater-Tochter-Geschichte auf und hinter der Leinwand.

Luitgard Koch

Albert, Bibliothekar in Paris, will mit seiner 17jährigen Tochter Jeanne einen 14tägigen Sommerurlaub verbringen. Reiseziel: Schweden. Die beiden haben ein Haus gemietet. Aber, oh Schreck, als sie ankommen wohnen dort schon Annika und Christine. Eine Terminverwechslung.

In der Hochsaison finden Annika und Christine keine andere Bleibe. Alles belegt. Also müssen alle vier in dem von Albert gemieteten Haus bleiben, sich zusammenraufen, miteinander auskommen.

Jeanne leidet im Grunde unter ihrem Vater. Sie will erwachsen werden, unter jungen Menschen sein, die Liebe kennen lernen.

Albert dagegen will das nicht begreifen. Er hält Jeanne fest, überwacht sie, verlangt Gehorsam, will, dass sie seine Interessen teilt. Das ist umso schwieriger, als der Mann, so liebenswürdig er manchmal sein kann, auch ein Spinner ist, der in Schweden mit einem Metalldetektor allen Ernstes nach einem Wikingerschatz forscht.

Christine ist Kostümbildnerin. Mit ihrem Freund scheint sie wenig Glück zu haben. Also wird sie sich in die Arbeit stürzen. Dass aus ihr und Albert ein Paar werden könnte, deutet sich an.

Annika ist die Eigentümerin des Ferienhauses, in dem die vier gewissermaßen zusammengesperrt sind. Durch Zufall trifft sie Per wieder, den sie vor Jahren verließ. Aber Per hat Frau und Kinder.

Ein klassisches Thema: mit den eigenen Freuden und Leiden zurechtkommen und in einer guten oder zumindest erträglichen Gemeinschaft mit den anderen Menschen leben. Jeanne löst sich von der Fuchtel ihres Vaters, liebt ihn aber. Ihre erste Partnererfahrung geht daneben, doch sie wird in Zukunft ein Stück freier sein. Albert dürfte auch weitergekommen sein, sein Kind losgelassen und begriffen haben, dass seine Schatzsuche nichts anderes ist als kindliches Getue. Christine hat einen Lebens- und Liebesabschnitt abgeschlossen – sie wird in absehbarer Zeit Albert in Paris treffen. Und Annika? Die Frage bleibt offen.

Das ist alles menschlich einsichtig, formal einfach, handlungsmäßig unangestrengt und ungekünstelt, in einem ruhigen Rhythmus verlaufend, in eine herbe, jedoch schöne Landschaft eingebettet vor dem Kinozuschauer ausgebreitet. Jean-Pierre Daroussin ist ein erfahrener Schauspieler. Er hat die Rolle des Albert fest im Griff. Anaïs Demoustier ist ein blühendes junges Mädchen, spielt ihren Part aber zu zurückhaltend. Die übrigen ergänzen das Vater-Tochter-Paar gut.

Ein sehr einfaches, wenn auch angenehmes Erstlingswerk. 

Thomas Engel