Wolf and Sheep

Zum Vergrößern klicken

Die junge afghanische Filmemacherin Shahrbanoo Sadat entführt in ihrem Drama „Wolf and Sheep“ in eine für uns Westeuropäer unwirkliche, mystische Welt. In den abgeschiedenen, felsigen Gebirgsregionen Afghanistans, erzählt Sadat vom Alltag der Hirtenkinder, die alleine in die Berge geschickt werden. „Wolf and Sheep“ überzeugt durch seine hohe Glaubwürdigkeit, die exakte Milieuschilderung sowie die betörenden Landschaftsaufnahmen. Hinzu kommt ein unerwartetes und mutiges Ende, das dem poetisch anmutenden Film eine auch noch eine politische Komponente verleiht. - Ausgezeichnet auf den Filmfestspielen in Cannes als bester Film mit dem „Art Cinema Award“.

Webseite: www.kairosfilm.de

Afghanistan 2016
Regie & Drehbuch: Shahrbanoo Sadat
Darsteller: Qodratollah Qadiri, Sediqa Rasuli, Sahar Karimi, Amina Musavi
Länge: 86 Minuten
Verleih: Kairos Filmverleih
Kinostart: 07. Juni 2018

FILMKRITIK:

In einer entlegenen Bergregion in Afghanistan kommen den Kindern der dort lebenden Familien schon früh wichtige Aufgaben zu. Dabei müssen die Jungs in den Bergen die Wölfe vertreiben, während die Mädchen die Schafe hüten. Kontakt zwischen den Geschlechtern ist verboten. Dennoch gelingt es den beiden Außenseitern Qodrat (Qodratollah Qadiri) und Sediqa (Sediqa Rasuli) sich anzufreunden. Qodrat wird von den anderen verspottet, weil seine Mutter nach dem Tod ihres ersten Ehemannes einen alten Mann ehelichen soll. Und Sediqa wird von den anderen Mädchen gemieden, weil sie angeblich verflucht ist. Qodrat und Sediqa verbringen immer mehr Zeit miteinander.

„Wolf and Sheep“ beruht zu weiten Teilen auf persönlichen Erinnerungen der afghanischen Regisseurin und Drehbuchautorin Shahrbanoo Sadat. Als sie elf Jahre alt war, zog Sadat mit ihren Eltern in ein afghanisches Bergdorf und lebte dort viele Jahre. Heute hat sie ihre Lebensmittelpunkte in Kabul und Kopenhagen. Seine Uraufführung erlebte „Wolf and Sheep“  bei den Filmfestspielen von Cannes 2016. Dort wurde der Film mit dem „Art Cinema“-Preis ausgezeichnet.

Die erst 26-jährige Debütantin Sadat liefert mit ihrem ruhig erzählten, feinsinnigen Drama eine wahrhaftige und genaue Schilderung vom Alltag der Dorfbewohner. Es sind Menschen, die im Einklang mit der sie umgebenden Natur, aber ohne die Errungenschaften der Moderne leben: ohne Technik, Telefon und Elektrizität. Ein einfaches, reduziertes Dasein, in dem die Aufgaben und Rollenbilder klar verteilt sind. Die Frauen kümmern sich um die Kleinkinder, kochen, putzen, waschen und haben kaum etwas zu sagen. Der Mann schlachtet Vieh und trifft die Entscheidungen. Es ist ein antiquiertes gesellschaftliches Gefüge, in das Sadat hier ganz tief eintaucht. Dass sie selbst in einem solchen Umfeld aufgewachsen ist, merkt man dem Film auch deshalb an, da hier nichts gekünstelt oder aufgesetzt wird. Unterstützt wird diese Authentizität noch dadurch, dass die Filmemacherin ausschließlich mit Laiendarsteller drehte, die sich selber spielen.

Spannend sind die Mechanismen und Gruppendynamiken, die sich bei den Jungs und Mädchen in den Bergen ergeben. Weil die Erwachsenen im Dorf sind und es deshalb niemanden gibt der sie schimpfen oder züchtigen könnte, verhalten sich die Kinder so wie man es von Gleichaltrigen in unserer westlichen Gesellschaft kennt: sie bilden Grüppchen, machen Quatsch und spielen. Die Mädchen spielen Hochzeiten nach, die Jungs hantieren mit ihren Steinschleudern. Aber die Kinder schließen ebenso die Außenseiter aus, sie lästern und streiten. Bei den Jungs kommen hier und da noch Prügeleien dazu sowie – teils derbe – Beschimpfungen.

All diese Szenen, die Sadat direkt in den beeindruckenden und kargen Gebirgslandschaften filmte, bringen uns den Alltag der  Kinder auf sehr dringliche Weise näher. Und sie zeigen auch, welche Verantwortung und Last schon auf den jüngsten Schultern ruhen. Außerdem zeigt „Wolf and Sheep“, welche Bedeutung der Glaube an Legenden, Märchen und Mythen für die Menschen besitzt.  Das gelingt Sadat mittels surrealer, traumwandlerischer Sequenzen, die u.a. eine durch die Landschaften umherstreifende grüne Fee in Menschengestalt zeigen.  Der Legende nach verzaubert sie die Menschen,  hilft den Armen und bestraft die Reichen.

Ganz am Schluss wird der Film dann auch noch politisch und erinnert – wenn die Bewohner fluchtartig ihr Dorf verlassen –  an eines der düstersten Kapitel in der Geschichte des Landes: die Invasion durch die US-Armee als Folge der Terroranschläge vom 11. September.

Björn Schneider