Zum Vergleich

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Unterschieden und Ähnlichkeiten in der globalisierten Welt spürt der Essayfilmer Harun Farocki in „Zum Vergleich“ nach. Verbindendes Element der Beobachtungen in Europa, Indien und Afrika ist der Ziegelstein, dessen unterschiedliche Produktionsweise im Mittelpunkt des Films steht. Farocki lässt die Bilder für sich sprechen und enthält sich jeden Kommentars. Ein Film über Arbeit, scharf beobachtet, höchst faszinierend.

Webseite: www.arsenal-berlin.de

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FILMKRITIK:

Neben der Jagd und der Arbeit auf dem Feld, also der Produktion von Nahrungsmitteln, ist das Bauen eines Hauses die ursprünglichste Form menschlicher Arbeit. Weiter reduziert kommt man fast zwangsläufig auf die Herstellung des kleinsten Bausteins für ein Haus: Einem Ziegel. Selbst in hochtechnologisierten Industriegesellschaften bestehen Häuser prinzipiell noch aus Ziegeln, auch wenn diese sich weit von ihrer ursprünglichen Form entfernt haben. Ein solcher Ziegel, rechteckig, klar geformt, steht am Anfang von Harun Farockis „Zum Vergleich“. Im westafrikanischen Staat Burkina Faso beobachtet er die Herstellung solcher Ziegel in ihrer ursprünglichsten Form, als klassische Handarbeiten. In Eimern wird Sand und Wasser in eine Grube geschüttet, mit bloßen Händen und Füßen zu einer Lehmmasse gemischt, die mit Schaufeln in eine Form geschüttet wird. In der Sonne trocknen die Ziegel, werden Stück für Stück zur nicht weit entfernten Baustelle getragen und dort zu einem Gebäude verarbeitet. Von dieser traditionellen Form der Ziegelherstellung ausgehend zeigt der Film Entwicklungsstufen der Produktion. In Indien bedient man sich zwar auch immer noch der millionenfach verfügbaren Arbeiter, aber die Ziegel werden schon gebrannt. In der nächsten Stufe werden keine einzelnen Ziegel mehr geformt, sondern Lehmstreifen mit Drähten durchtrennt. Ähnlich funktionieren auch Ziegelproduktionen in Europa, mit dem Unterschied, dass keine Menschen mehr die Ziegel durchtrennen, sondern Maschinen.

Die zunehmende Mechanisierung der Produktion ist der zunächst auffälligste Unterschied. Hinzu kommt die Form. Nicht mehr kleine Ziegel werden in Deutschland hergestellt, sondern immer größere Stücke, die schon nach der Produktion als Wände und Dachgiebel zu erkennen sind. Ganze Wände werden so mechanisch produziert, die dann, ähnlich den Plattenbauten, per Kran an die rechte Stelle gesetzt werden. Und doch zeigen sich bei allen Unterschieden nicht zuletzt die Ähnlichkeiten der Produktionsmethoden, die Parallelen zwischen den Kontinenten, zwischen Erster und Dritter Welt. Aus diesen subtil angedeuteten Ähnlichkeiten entsteht die Faszination von „Zum Vergleich.“ Einmal mehr erweist sich Farocki als genauer Beobachter, der sich nicht damit begnügt, die Oberfläche der Dinge zu zeigen. So entsteht eine dialektische Spannung zwischen der auf den ersten Blick rückschrittlich wirkenden Arbeit in Indien und der Technologie des Westens. Denn auf einmal sieht man da westliche Architekturstudenten, die sich eine indische Methode genau anschauen: Aus Ziegeln wird ein Haus gebaut, in Form einem Ofen ähnlich und als solcher dient es auch. Die Ziegel werden nicht mehr vor dem Bau gebrannt, sondern erst verbaut und dann als ganzes, als fertiges Gebäude gebrannt. Zusätzlicher Vorteil ist die Funktion des Hauses als Brennofen für weitere Ziegel, mit denen das Haus finanziert werden kann. Solch praktische, wohldurchdachte Lösungen lassen jegliche Vorurteile gegenüber dem Primitiven ins Leere laufen. Nicht zuletzt im Aufzeigen solcher Herstellungsmethoden liegt die große Qualität von „Zum Vergleich“, dem Musterbeispiel eines intelligenten, reflektierten Essayfilms.

Michael Meyns