Anfang Juli 2025 musste die italienische Post zwei Sonderbriefmarken mit Motiven aus Südtirol aus dem Verkehr ziehen. Der Grund: Anders als es das Gesetz in der zweisprachigen, autonomen Provinz in den Alpen vorsieht, fehlte auf ihnen der deutsche Text. Bezeichnungen waren lediglich auf Italienisch zu finden. Die juristisch verankerte Gleichberechtigung beider Sprachgruppen ist keine Selbstverständlichkeit, wie ein Blick in die Geschichte zeigt. Die von der faschistischen Regierung vorangetriebene Italianisierung Südtirols kam auch nach dem Ende Mussolinis nicht zum Erliegen. Deutschsprachige Bürger wurden weiterhin benachteiligt, was einige Aktivisten ab den späten 1950er-Jahren veranlasste, einen gewaltsamen Freiheitskampf gegen Rom zu führen. Eben dieses hierzulande wenig bekannte, spannungsreiche Kapitel beleuchtet der selbst aus Südtirol stammende Michael Kofler in seinem Spielfilmdebüt „Zweitland“ auf erhellend-intensive Weise.
Über den Film
Originaltitel
Zweitland
Deutscher Titel
Zweitland
Produktionsland
ITL,DEU,AUT
Filmdauer
112 min
Produktionsjahr
2025
Produzent
Bleser, Wasiliki / Rattini, Martin / Pichler
Regisseur
Kofler, Michael
Verleih
Weltkino Filmverleih GmbH
Starttermin
20.11.2025
Im Jahr 1961 hält Paul (Thomas Prenn) eigentlich nichts mehr in seinem Heimatdorf in den Bergen. So schnell wie möglich möchte er nach München ziehen und dort Kunst studieren. Doch dann kommt es in einer Sommernacht zu einer Reihe von Bombenattentaten, bei denen es sogar ein Todesopfer zu beklagen gibt. Pauls Bruder Anton (Laurence Rupp), der sich dem Schutz der deutschsprachigen Bevölkerung verpflichtet hat, ist in die Anschläge verwickelt und muss nach dem Aufmarsch der italienischen Carabinieri Hals über Kopf untertauchen.
Da er Antons Ehefrau Anna (Aenne Schwarz) und seinen kleinen Neffen nicht alleine lassen will, verschiebt Paul seine Pläne und hilft auf dem Hof der Familie aus. Als ein guter Freund von ihm verhaftet und gefoltert wird, regt sich in ihm immer mehr Abneigung gegen die italienische Polizei, die um jeden Preis die separatistischen Bestrebungen zu unterdrücken versucht. Wie es scheint, muss sich Paul klar positionieren.
Michael Koflers Drehbuch hätte leicht die Abzweigung ins Thriller-Genre nehmen können, packt die historisch-politischen Hintergründe aber in ein intimes Familiendrama von erstaunlicher Aktualität. Genau wie in der Gegenwart die Corona-Pandemie und die Einstellung zur AfD nahestehende Menschen entzweit haben, treibt im Film der Kampf für ein freies Südtirol einen Keil zwischen die Bewohner dieses Landstrichs. Durch Pauls Heimatdorf verlaufen viele Risse. Die Wirtin etwa lehnt die Aktionen der Terroristen ab. Ihr Sohn hingegen sympathisiert mit ihnen.
Während Anton ganz und gar für das bewaffnete Ringen um Unabhängigkeit brennt, wirft er seinem Bruder vor, sich stets wegzuducken. Paul will der Perspektivlosigkeit entfliehen, zeigt sich erschrocken über die Mittel der Aktivisten, ist plötzlich aber hin- und hergerissen zwischen Selbstverwirklichung und Loyalität. Anna wiederum präsentiert sich als Mittlerin und hat die nachfolgenden Generationen im Blick, die schließlich irgendwie miteinander auskommen müssen. Vor allem über ihre Figur macht „Zweitland“ die bedrückenden patriarchalen Strukturen greifbar, die in der gläubigen, bäuerlichen Gemeinschaft vorherrschen. Bezeichnend ist eine Versammlung, auf der Anna als einzige Frau vielen Männern gegenübersteht und für ihre kritischen Worte verunglimpft wird.
Gelegentlich unterfüttert der Regisseur seine Handlung mit plakativen Szenen und Ideen, die vom Kern etwas ablenken. Dennoch entfaltet „Zweitland“ einen starken Sog, was nicht zuletzt an den guten Darstellerleistungen liegt. Besonders Thomas Prenn, der Pauls Hadern eindringlich herausarbeitet, und Laurence Rupp überzeugen als ungleiche Brüder mit komplexer Beziehung. Ebenso wichtig für die Wirkung ist die visuelle Gestaltung. Obwohl wir uns in einer weitläufigen Bergwelt befinden, erzählen Michael Kofler und Kameramann Felix Wiedemann fast durchgehend in Einstellungen mit engem Bildausschnitt und leinwandfüllenden Gesichtern. Das Gefühl des Eingeschlossenseins zieht sich so wie ein roter Faden durch den Film.
Was außerdem positiv hervorsticht: Der Südtirol-Konflikt wird in Schattierungen gezeigt. Die italienischen Polizisten gehen teils brutal zu Werke, setzen illegale Methoden ein, um im Dorf für Ordnung zu sorgen und die Hintermänner der Anschläge zu identifizieren. Kritisch hinterfragt „Zweitland“ aber auch das Vorgehen der Separatisten, die ihre Ziele mit ähnlich kompromisslosen Mitteln erreichen wollen. Gewalt erzeugt neue Gewalt, eine gefährliche Spirale, die nur schwer aufzuhalten ist – das betont Kofler mit den letzten, niederschmetternden Bildern unmissverständlich.
Gesichtet wurde „Zweitland“ auf dem Filmfest München 2025.
Christopher Diekhaus