Zwischen Himmel und Eis

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Seit 50 Jahren arbeitet der Wissenschaftler Claude Lorius an der Erforschung der Antarktis – er ist der bekannteste Glaziologe der Gegenwart und noch immer genauso fasziniert vom Polareis wie als junger Mann. Seine Erkenntnisse trugen dazu bei, dass die Ursachen für den Klimawandel in den letzten 150 Jahren eindeutig dem Menschen zugeschrieben werden können.
Luc Jacquet (u. a. DIE REISE DER PINGUINE) setzt mit seiner Dokumentation dem Forscher Claude Lorius ein beinahe zu ehrfürchtiges Denkmal. Die Bilder vom Südpol und die Archivaufnahmen aus einem halben Jahrhundert Polarforschung sind großartig, allerdings zieht sich der Film gegen Ende in die Länge. Der weihevolle deutsche Kommentar von Max Moor und ein streicherbetonter Soundtrack tragen zusätzlich dazu bei, dass der Abschlussfilm von Cannes 2015 nicht hundertprozentig überzeugen kann. Dennoch ist der Film natürlich interessant und wichtig und ein Tipp besonders für umweltbewusste Filmfans.

Webseite: www.zwischenhimmelundeis.weltkino.de

Originaltitel: La glace et le ciel
Dokumentarfilm
Frankreich 2015
Sprache: Französisch, deutscher Kommentar von Max Moor
Regie: Luc Jacquet
Länge: 89 Minuten
Verleih: Weltkino
Kinostart: 26. November 2015

FILMKRITIK:

Ein alter Mann in einem himmelblauen Anorak – Claude Lorius. Er ist seit seiner Jugend der Antarktis verfallen und hat sein ganzes Leben der Erforschung des Eises gewidmet.. Mit 25 war er Mitglied bei einer der ersten internationalen Expeditionen. Er trotzte der Kälte, den Gefahren und dem Lagerkoller … und kam so schnell wie möglich zurück. Als Glaziologe erforschte er die Strukturen des Eises und stieß immer weiter in die Tiefe vor, um Eisschichten zu analysieren, die Hunderttausende von Jahren in die Vergangenheit reichten. Dabei stieß er auf eine Möglichkeit, über die Zusammensetzung des Eises und die darin eingeschlossene Luft auf die klimatischen Bedingungen zu schließen, die zu der Zeit herrschten, als der Niederschlag in Form von Schnee auf den Boden fiel. Diese Erkenntnisse waren bahnbrechend für die Klimaforschung und damit für die Analyse der klimatischen Veränderungen in den letzten 150 Jahren. Heute geht Claude Lorius davon aus, dass es die Antarktis in der heutigen Form bald nicht mehr geben wird – mit entsprechenden Auswirkungen für die Erde und die Menschheit. Von den einstigen riesigen Gletscherformationen am Rande der Antarktis sind mancherorts nur noch ein paar Schneehäufchen übrig geblieben. Wie lange wird es das ewige Eis noch geben?
 
Luc Jacquet verzaubert mit wunderschönen Bildern, die er mit Archivaufnahmen von früheren Expeditionen kombiniert, viele davon wurden bisher nie veröffentlicht. Dann sieht man einen fröhlichen, jungen Claude Lorius, der gemeinsam mit seinen Gefährten am Südpol ackert, friert und feiert. Und hier liegt auch das Problem des Films: Viel mehr erfährt man nicht über den privaten Claude Lorius. Seine Familie taucht nur ganz am Rande auf, weder Kollegen noch Weggefährten werden vorgestellt. Claude Lorius spricht praktisch nur über seine Arbeit, wird nur selten anekdotisch, und am Ende des Films kennt man den alten Herrn kaum besser als zu Anfang. Offenbar ist er ein Wissenschaftler, wie ihn sich Klein-Fritzchen vorstellt: besessen von seiner Arbeit, ansonsten wohl eher in sich gekehrt und mit den Jahren melancholisch geworden. Das ist verständlich, denn seine Entdeckungen boten kaum Anlass für Optimismus. Seine Leistungen sind unbestritten enorm, sein Lebenswerk ist bedeutsam, aber für eine Dokumentation von Spielfilmdauer wären ein bisschen mehr Pep und Inhalt durchaus wünschenswert gewesen. So kreist die Drohne immer und immer wieder über dem kleinen Mann in seiner blauen Jacke, während die Violinen dazu mal jubeln und mal weinen. Der andächtige Voice over-Kommentar in Ich-Form, in der deutschen Fassung gesprochen von Max Moor, dem Lieblingsmoderator aller schwerintellektuellen Feuilletonfans, scheint eher für einen Gedenkgottesdienst geeignet als für einen Dokumentarfilm. Er ist jedenfalls kaum geeignet, ein bisschen Temperament in diesen Film zu tragen, der nach einer Stunde kaum noch Neues bietet. Trotz der herrlichen Filmaufnahmen wird Luc Jaquet mit diesem Film also vermutlich nicht an frühere Erfolge anknüpfen können. Schade! So bleibt der Film vermutlich ein zwar interessantes und wichtiges, aber dennoch cineastisch eher konventionelles und inhaltlich nicht immer überzeugendes Kinoereignis für umweltbewusste Filmfans sowie für Schulklassen und Max-Moor-Enthusiasten.
 
Gaby Sikorski