Pink Elephants

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Die faszinierende Doku zeigt, wie weit Menschen gehen, um glücklich und erfolgreich zu werden. Im Mittelpunkt stehen die Teilnehmer an einem Schauspielworkshop und ihr Coach, der sie anleitet und so lange manipuliert, bis sie aus sich herausgehen. Der Seelenstriptease ist gewollt. Wer nicht dazu bereit ist, fliegt raus. Susanne Bohlmanns Film polarisiert: Ist der Schauspielcoach Bernard Hiller ein Guru oder ein Scharlatan? Hier wird nach Kräften geschrien, getobt und geweint, doch fast alle sind glücklich damit. Warum eigentlich? Nicht nur angehende und aktive Schauspieler, sondern auch alle, die sich für Therapien und Karrierecoaching interessieren, sollten diesen Film sehen, der manchmal wehtut, weil er unbequeme Wahrheiten zeigt.

Webseite: www.pinkelephants.wfilm.de

Dokumentarfilm
Deutschland 2016
Buch, Regie: Susanne Bohlmann
Protagonisten: Bernard Hiller, Bernd Capitain, Craig Fletcher, Eirin Forsberg, Ciera Foster, Calvyn Grandling, Lauréline Kuntz, Dr. med. Miriam Rehbein, Philippe Simon
Musik: Martin Fliegenschmidt, Sebastian Müller-Schrobsdorff
92 Minuten
OmU, Originalsprachen: Englisch, Französisch, Deutsch
Verleih: W-film
Kinostart: 15. November 2018

FILMKRITIK:

Schon nach wenigen Minuten drängt sich ein Gedanke in den Vordergrund: Das ist kein Schauspieltraining, das ist eine Therapie. Die Menschen, die Bernard Hillers „Masterclass“-Workshop besuchen, brauchen und wollen eigentlich Lebenshilfe. Tatsächlich ist Hillers Programm eine ziemlich wilde Mischung aus dem guten alten „Method Acting“ nach Strasberg und aus verschiedenen psychotherapeutischen Ansätzen, zusätzlich aufgepeppt mit einem Schuss Bewusstseinserweiterung. Zu Beginn stellen sich einige Teilnehmer vor: Schauspieler aus Deutschland, Frankreich, England, den USA – sie alle wollen sich weiterentwickeln, um erfolgreicher zu werden. Calvyn aus Südafrika ist einer von denen, die zumindest einen gewissen Bekanntheitsgrad haben: Er spielt seit vielen Jahren den „Simba“ im Musical „The Lions King“ (Der König der Löwen). Doch er träumt davon, auch andere Rollen zu spielen und in Hollywood Karriere zu machen. Das gilt auch für beinahe alle anderen. Nur wenige sind noch unentschieden, ob der Schauspielberuf für sie das Richtige ist – die Ärztin Miriam zum Beispiel. Und andere, wie der Deutsche Bernd Capitain, arbeiten zwar als Schauspieler oder als Schauspiellehrer, sehen im Workshop aber eher die Möglichkeit einer persönlichen Entwicklung, die nicht unbedingt mit der beruflichen gekoppelt ist. Auch der Schauspielcoach Bernard „Bernie“ Hiller wird vorgestellt. Cameron Diaz ist bis jetzt die Bekannteste seiner Eleven, ansonsten arbeitet er nicht nur mit Schauspielern, sondern auch mit Managern. Zu Beginn stellt er die Weichen: Wer ihn kritisiert, fliegt raus. Wer etwas Negatives sagt, fliegt raus. Und überhaupt entscheidet er selbst, wann er wen rausschmeißt. Das Geld gibt es nicht zurück. Und wer damit nicht einverstanden ist, geht am besten sofort. – Niemand geht, was nicht weiter überrascht. Denn Bernard Hiller hat gleich ein paar coole Sprüche parat: „Your brain is a piece of shit.“ – Hier geht es also ums Nichtdenken – schwierig, sagt sich der Laie. Aber die Schauspieler im Workshop wissen sofort, was gemeint ist. Den Kopf ausschalten, aus sich herausgehen. Einfach tun, was der Meister sagt, alles rauslassen. Exaltiertheit wird hier belohnt. Authentizität ist vor allem gefragt, wenn sie möglichst laut ist. Das ist ein bisschen wie Primärtherapie, auch bekannt als Urschreitherapie. Bald fließen die ersten Tränen, und schnell wird klar: Bernard Hiller ist von sich und von dem Erfolg seiner Arbeit überzeugt, er ist alles andere als ein Zyniker, sondern hat Freude daran, Menschen zu beeinflussen und damit etwas Positives zu bewirken. So bedient er sich verschiedener Techniken, die aus Coachings und auch aus dem traditionellen Schauspielunterricht bekannt, allerdings in der Therapie verpönt sind: Erst macht er seine Coachees fertig, dann baut er sie wieder auf. Der Weg nach unten ist hart und brutal. Bernard Hiller droht mit Rausschmiss und zieht eine Show dafür ab, die alles toppt, was man vielleicht aus Castingshows im deutschen Fernsehen kennt. Wenn die Darsteller dann doch wider Erwarten bleiben dürfen, brechen sie haltlos in Tränen aus.
 
Die meisten scheinen damit glücklich zu sein. Und schon tauchen Fragen auf. Brauchen Menschen Führung? Ist Nachdenken schädlich für die Karriere? Ist Erfolg planbar? Ist Misserfolg die logische Folge des eigenen Versagens? Bernard Hiller behauptet, der Erfolg würde sich einstellen, sofern man etwas wirklich will. Ein tolles Geschäftsmodell: Du hast es nicht wirklich gewollt, und deshalb hat es nicht geklappt. Dazu passt auch die Aussage eines Teilnehmers, der sagt, die mittelmäßigen und schlechten Schauspieler würden Bernard Hiller hassen, nur die guten würden ihn lieben. Aber bedeutet gut auch gleichzeitig erfolgreich? Im Grunde vertritt Bernard Hiller einen beinahe romantischen Ansatz, der sich in der Kunst generell beinahe überlebt hat, aber nach wie vor beliebt ist: Nur durch das Leid wächst die Kraft. Auf jeden Fall passiert etwas mit den Menschen, die sich hier für ein paar Tage bis zur Selbstaufgabe in Übungen und Improvisationen quälen. Der schlanke, wendige Bernie Hiller kontrolliert alles, die Dramaturgie steht bis ins kleinste Detail fest. Hier gibt es keine Zufälle. Er ist der absolute Herrscher über ein kleines Reich von willigen Untertanen, die über ihre eigenen Grenzen gehen, ihr Innerstes nach außen kehren, sich seelisch entblößen, zu Grunde richten und am Ende (fast alle) glücklich wiederauferstehen. Wie hätte sich wohl ein Klaus Kinski in diesem Workshop verhalten? Oder wäre er vielleicht ein noch besserer Bernie Hiller?
 
Es tut weh zu sehen, wie schnell diese eigentlich intelligenten, weltoffenen Leute bereit sind, ihren Verstand auszuschalten. Man kann nur darüber spekulieren, was die schmerzhaften Häutungen, die Hiller für notwendig und sinnvoll hält, mit sensiblen Naturen machen. Warum ist es so leicht, Menschen zu manipulieren? Wo fängt Machtmissbrauch an? Immer mehr Fragen stellen sich während des Films, viele ergeben sich im Nachhinein und laden zu einer intensiven intellektuellen und emotionalen Auseinandersetzung ein.
 
Susanne Bohlmann hat mehrere Jahre an ihrem Film gearbeitet, der in seiner Intensität durchaus fordernd ist. Sie kommentiert nicht, aber zeigt alles: die großen Gefühle, Ängste, Zweifel, Hoffnungen, Niederlagen und Höhenflüge. Der elegante Herrn Hiller ist immer präsent und kontrolliert alles mit aufmerksamen Blicken. Mittendrin statt nur dabei, könnte das Motto dafür lauten, wie Susanne Bohlmann in die Workshop-Situationen eintaucht und dabei die Zerrissenheit der Teilnehmer zeigt. Zwischendurch stellen sich die Protagonisten in ihrem häuslichen Umfeld vor. Das ist nicht nur ein Unterschied wie Tag und Nacht, sondern bringt auch ein bisschen Ruhe in die Dokumentation, die manchmal anstrengend ist, aber immer spannend bleibt.
 
Am Ende gönnt Susanne Bohlmann ihrem Publikum einen Nachspann, der noch einmal die Protagonisten zeigt und das, was nach dem Workshop aus ihnen geworden ist. Und da gibt es ein paar echte Überraschungen.
 
Gaby Sikorski