12 Years a Slave

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Nach seinen Meisterwerken „Hunger“ und „Shame“ wurde der neue Film des Künstlers und Regisseurs Steve McQueen bei seiner Premiere auf dem Toronto Filmfestival nicht nur von den Kritikern frenetisch gefeiert, sondern auch mit dem Publikumspreis ausgezeichnet und gilt mit Abstand als Top-Favorit bei der kommenden Oscar-Verleihung: vollkommen zurecht.
Es gelingt ihm auf intensive und eindringliche Weise zu vermitteln, was das dunkelste Kapitel der amerikanischen Geschichte, die Sklaverei, für alle Beteiligten bedeutet hat, vor allem für die Opfer. Die wie immer hervorragende Bildgestaltung und exzellente Schauspielleistungen machen „12 Years a Slave“ zu einem in jeder Hinsicht historischen Film.

Webseite: www.12yearsaslave.de

USA 2013
Regie: Steve McQueen nach dem gleichnamigen Buch von Solomon Northup
Darsteller: Chiwetel Ejiofor, Benedict Cumberbatch, Paul Dano, Paul Giamatti, Michael Fassbender, Lupita Nyong'o, Brad Pitt u.a.
Verleih: Tobis
Starttermin neu: 23. Januar 2014

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

In einer wirkungsvollen Einstellung wenige Minuten nach Beginn des Films, zeigt sich bereits die tiefe Implikation, die ein System struktureller Gewalt in den Beherrschten und Unterdrückten auszulösen vermag: eine schmerzhafte Getrenntheit und Entsolidarisierung der Menschen untereinander. Es ist eine intime Szene, in der Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor), dessen wahre Geschichte erzählt wird, in einem Lager für Sklaven auf dem Boden mit vielen anderen nächtigt. Sein Blick trifft den einer jungen Frau, die ihn lange und eindringlich erwidert, bevor sie seine Hand nimmt, um sich selbst zu berühren. Solomon erwidert die Annäherung nicht, gewährt ihr allerdings den Moment der Lust, vielleicht als Geste des Trostes und des Mitgefühls. Nach seiner Vollendung wendet sich die Frau mit einer entschiedenen Bewegung ab, dreht sich aus der Kadrierung des Bildfeldes und lässt ihn dort allein zurück, nur ihr tiefes Schluchzen ist noch zu hören.

Es sind solche intensiven Momente, auf deren Inszenierung Steve McQueen sich aufs Trefflichste versteht und in denen seine Laufbahn als Künstler deutlich zu Tage tritt. Ähnlich wie in der ersten Einstellung von "Shame" liegen hier die Körper tableauhaft angeordnet, quer über die ganze Leinwand und demonstrieren dem Zuschauer das Potential von Bildern, das sich in einer solchen Verdichtung zeigen kann.

Nach einer Überblendung in die Vergangenheit sehen wir Solomon Seite an Seite mit seiner geliebten Ehefrau, mit der er im Jahre 1841 in New York ein bürgerliches Leben als freier Mann führt. Auch wenn der Rassismus bisweilen zu spüren ist, wird der Vater von zwei Kindern dennoch respektiert und für sein musikalisches Talent als Violinist geschätzt.

Ein Angebot zweier Schausteller lockt Solomon in die Hauptstadt, wo bei einem lebhaften Abendessen die Details des Engagements besprochen werden und man guter Dinge ist.
Der Bruch, der sich danach ereignet ist radikal: in Ketten und nur mit seinem Hemd bekleidet, erwacht der Getäuschte und kann nicht fassen, was geschah.
Plötzlich wähnt man sich im Szenario eines Horrorfilms wie "Hostel" oder "Saw" - in Rückblenden brechen die Erinnerungen der vergangenen Nacht über uns herein: die Menschen, die gerade noch freundlich mit Solomon anstießen, haben keine Skrupel ihn für eine hohe Summe in die Sklaverei zu verkaufen und ihn all seiner Papiere und Wertsachen zu berauben.

Der Kerker ist der Beginn eines grausamen Lernprozesses für Solomon, dessen Zeuge wir werden - mit einem Stock erfährt er eine Umwertung aller Werte und es ist vor allem sein Name, stellvertretend für seine rechtmäßige Vergangenheit, der aus ihm hinausgeprügelt werden soll. In einer Panorama-Einstellung sieht man schließlich die Silhouette der Hauptstadt, in der die Geschäfte gleichförmig weiter laufen, während in einem Keller in ihrer Mitte ein Mensch gebrochen wird, dessen Schreie niemand hören will.

Zusammen mit einigen anderen Farbigen wird Solomon schließlich in einer Nacht-und- Nebel-Aktion auf einem Karren, unter einer Plane versteckt, zum Hafen gebracht - die Aufsicht auf die im Wagen liegenden Körper löst Assoziationen aus, die an systematische Deportationen erinnern, um die es sich hier auch zweifelsohne handelt. Ein Dampfschiff befördert die völlig verängstigten Männer, Frauen und Kinder Richtung Süden und McQueen lässt die grausame Kraft des Schaufelrades, das unerbittlich das Wasser zerteilt, für sich sprechen.

Solomon begehrt auf und versucht die anderen zu einer Meuterei zu bewegen, doch sein Vorschlag trifft nur auf Abwehr und Resignation. Zu groß ist die Angst vor der Enthemmtheit der Weißen, die die Frauen vor den Augen ihrer Familie schänden und weniger als einen falschen Blick benötigen, um ein Leben einfach auszulöschen. Solomons Geschichte bleibt eine Geschichte der Vereinzelung, allein schon dadurch, dass er selbst durch seine Bürgerlichkeit einen ungewöhnlichen Hintergrund hat, der ihn von den meisten seiner Leidensgenossen trennt. Dies eignet sich natürlich gut für die Narration, da die Fallhöhe der Figur größer ist und der (vermutlich ebenfalls bürgerliche) Zuschauer gemeinsam mit ihr erlebt, was es bedeutet, all seine Privilegien und elementarsten Rechte zu verlieren.

Solomons Martyrium verläuft entlang von verschiedenen Sklavenhaltern, an die er unter seinem neuen Namen "Platt" verkauft wird. Darunter finden sich Charaktere wie der eher wohlwollende William Ford (Benedict Cumberbatch), der an Solomons wachem Geist Gefallen findet und sich ihn nutzbar zu machen weiß, aber auch tief gestörte Sadisten wie Edwin Epps (Michael Fassbender), der das ernsthafte Pendant zu Tarantinos Plantagen-Psychopathen Calvin Candy darstellen könnte. Das Beharren auf den eigenen Fähigkeiten ist ein nachvollziehbarer Versuch die eigene Würde zu bewahren, jedoch bringt dies den Verschleppten in Lebensgefahr, da die bloße Vorstellung einer Egalität oder einer Teilhabe am Menschlichen für die Rassisten extrem bedrohlich ist, da sie natürlich das ganze System in Frage stellt.

Solomon bezahlt sein erneutes Aufbegehren fast mit dem Tode und entgeht dem Lynchen nur, weil die wütenden Aufseher den Zorn ihres Herren fürchten. Sie lassen ihn jedoch auf Zehenspitzen am Strick hängend stehen, was zur wirkungsvollsten Szene des ganzen Films avanciert: Solomon steht, zitternd um sein Leben, im Schlamm, den ganzen Nachmittag lang in praller Sonne, und hinter ihm beginnt zögerlich das alltägliche Werk der anderen Sklaven, die schamvoll ihren Blick abwenden und ihm nicht zur Hilfe kommen. Ein stärkeres Bild für eine zerbrochene Gemeinschaft ist kaum zu finden.

Und obwohl stets mit der Bibel das Herrschaftsverhältnis und die Unterwerfung legitimiert werden, gibt es doch eine tief verborgene Ahnung davon, welches Verbrechen man über die Ausgelieferten bringt, in Form einer Angst, dass man eines Tages doch von ihnen hinterrücks ermordet wird, wenn sie die Möglichkeit zu Rache oder Gerechtigkeit bekommen. In dem Verhältnis von Epps zu seiner dominanten Ehefrau lässt sich viel ablesen, über die Projektionen und Begehren, die Gewalt und Rassismus auf der Plantage motivieren. Die exzessive Tortur, der er seine Sklaven aussetzt, steht in einem einleuchtenden Verhältnis zu seiner imaginären Kastration durch die hysterischen Appelle seiner Frau an die angeblich nicht vorhandene Männlichkeit. Dies versucht Epps durch ein Missbrauchsverhältnis an einer besonders schönen und zierlichen Farbigen (Lupita Nyong'o) zu kompensieren, das durch Vereinnahmung und Wahn geprägt ist, was natürlich erst recht die Eifersucht und den Sadismus seiner Frau provoziert.

Dennoch ist "12 Years a Slave" vor allem ein Film über die Opfer und die Auswirkungen der Gewalt, bei dem die genauen Motivationen der Täter nicht im Vordergrund stehen. Im Gegensatz zu seinen vorherigen Spielfilmen setzt McQueen hier mehr auf die Kraft einer kontinuierlichen Handlung und die Identifikation mit einer Hauptfigur, was insgesamt einen konventionelleren Eindruck vermittelt, allerdings dem hohen Niveau der Inszenierung auch keinen Abbruch tut. Dies ermöglicht auch einem breiteren Publikum den Zugang zum Film und eine Möglichkeit der Konfrontation mit einem schweren Thema, was durchaus nachvollziehbar und auch wünschenswert ist.

Es finden sich darüber hinaus auch immer wieder Szenen mit einer ganz eigenen Qualität, die dem Zuschauer durch ihre Intensität noch lange im Gedächtnis bleiben werden. Zu einer der größten Leistungen des Films gehört das eindringliche Spiel von Chiwetel Ejiofor, der in seiner Verletzbarkeit große Stärke aufscheinen lässt, aber auch Lupita Nyong'os fragile Darstellung einer in jeder Hinsicht ausgelieferten jungen Frau beeindruckt durch ihre Unmittelbarkeit.

Steve McQueen ist es als Brite gelungen, einen der relevantesten filmischen Beiträge zur Aufarbeitung amerikanischer Geschichte zu realisieren und ebenso einen der herausragendsten Filme dieses Jahres überhaupt.

Silvia Bahl