Mit „22 Bahnen“ gelang Caroline Wahl ein sehr erfolgreicher Coming-of-Age-Roman, der von einer jungen Studentin erzählt, die zwischen eigenen Träumen, Verantwortungsgefühl für die jüngere Schwester und manch anderem umgetrieben wird. Mia Maariel Meyers Adaption bleibt nahe an der literarischen Vorlage, was deren Fans freuen dürfte, der filmischen Eigenständigkeit aber nicht unbedingt zuträglich erscheint.
Über den Film
Originaltitel
22 Bahnen
Deutscher Titel
22 Bahnen
Produktionsland
DEU
Filmdauer
90 min
Produktionsjahr
2025
Regisseur
Meyer, Mia Maariel
Verleih
Constantin Film Vertriebs GmbH
Starttermin
04.09.2025
Tilda (Luna Wedler) lebt in einer kleinen, tristen Stadt und studiert Mathematik. Eigentlich hätte sie ihre Heimat gerne schon längst verlassen, wäre wie ihre Freundinnen weggezogen, nach Amsterdam oder zumindest Berlin, aber die Sorge um ihre vier Jahre jüngere Schwester Ida (Zoë Baier) hält Tilda zurück.
Denn zusammen leben die Schwestern bei der Mutter (Laura Tonke), die zwar irgendwann Kinder bekommen hat, aber so gar kein Talent und Interesse am großziehen von Kindern hat. Viel lieber hängt die Mutter an der Flasche, fackelt auch mal die halbe Wohnung ab oder liegt im Koma auf dem Sofa. Kein schönes Leben für die Schwestern, die dennoch versuchen, das Beste aus der Situation zu machen.
Bald tut sich für Tilda auch eine Möglichkeit auf, ihr Leben in andere, positivere Bahnen zu lenken: Ihr Professor an der Universität berichtet von einer Stelle in Berlin. Dort könnte sie promovieren und ihre enormen Fähigkeiten in der Mathematik ausnutzen. Doch dafür müsste sie Ida alleine bei der Mutter zurücklassen.
Tilda steht eine schwierige Entscheidung bevor und zudem ist auch Viktor (Jannis Niewöhner) wieder in der Stadt, der größere Bruder von Ivan, der vor fast genau fünf Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Zwischen Schuldgefühlen und dem Wunsch, endlich frei zu leben, bewegt sich Tilda durch den Sommer.
Viel Lob aber auch manche Kritik erhielt Caroline Wahl für ihren ersten Roman „22 Bahnen“, der sich seit seiner Erstveröffentlichung vor zwei Jahren über 300.000 Mal verkaufte. Als allzu gefällig wurde die Coming-of-Age-Geschichte bezeichnet, die Figurenkonstellation als zu schematisch empfunden, die Sprache als zu blumig und gefühlig. Viele Leser scheint das nicht vom Genuss des Romans abgehalten zu haben, diesen dürfte Mia Maariel Meyers Adaption gefallen.
Denn diese geht auf Nummer sicher und bewegt sich in den bekannten Bahnen des Genres. Dass beginnt schon bei der Besetzung, in der einmal mehr Laura Tonke eine schwierige, mit sich selbst beschäftigte Mutter spielt und Jannis Niewöhner zum wiederholten Mal einen sensiblen, zurückhaltenden jungen Mann, der gut zuhören kann. Auch die ausgiebige Verwendung eines Voice Over Kommentars verrät die literarische Vorlage, lässt aber eine filmische Umsetzung vermissen: Meist erzählen weniger die Bilder, als das Tilda sagt, was sie gerade denkt, wie sie sich fühlt, wie sie ihr Leben gerne anders gestalten würde.
Dem Inneren dieser Figur jedoch wirklich Nahe zu kommen, gelingt nur selten. Meist bleibt „22 Bahnen“ allzu sehr der Vorlage verhaftet, reiht Szene auf Szene, die perfekt in das konventionelle Drehbuchkonstrukt passen, in dem jede Nebenfigur zum genau richtigen Zeitpunkt auftaucht und wieder verschwindet. So sind es am Ende vor allem die Szenen zwischen den beiden Schwestern in denen berührende Momente entstehen und die emotionale Zerrissenheit von Tilda wirklich spürbar wird und nicht Behauptung bleibt.
Michael Meyns