39,90

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Ein Werbetexter entlarvt die Manipulierbarkeit in der Welt der Marken und entschließt sich auszusteigen. Vorher deckt er die Banalitäten der Branche auf – und veröffentlicht sie... Die Verfilmung von Frédéric Beigbeiders Roman-Bestseller überzeugt als fulminanter Sinnesrausch und gelungene sarkastische Dekonstruktion der von Werbung zersetzten menschlichen Psyche.

Webseite: www.alamodefilm.de

Frankreich 2007
Regie: Jan Kounen
Buch: Jan Kounen, Nicolas Bruno; basierend auf dem gleichnamigen Roman von Frédéric Beigbeder
Darsteller: Jean Dujardin, Jocelyn Quivrin, Patrick Mille, Vahina Giocante, Elisa Tovati, Nicolas Marié, Dominique Bettenfeld, Antoine Basler, Frosco Perinti
Länge: 104 Minuten
Verleih: Alamode
Start: 31.7.2008

PRESSESTIMMEN:

 

Die Zuschauer freuen sich über doppelte Ironie, Beigbeder karikiert die Werbung, aber eben auch sich selbst, das ist unterhaltsam, sympathisch, ein bisschen bodenlos und verrückt. Und genau so ist der Film. 
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Der erfahrene Einfallsreichtum, mit dem Kounen die fragementarische Struktur des Romans auf die Leinwand überträgt, ist schlicht atemberaubend. (...) Originell, provokativ und böse: Jan Kounens Branchensatire ist viel besser als der gleichnamige Bestseller.
Cinema

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FILMKRITIK:

Die Romanvorlage von Fréderic Beigbeder war 2001 ein zynischer, aber selten polemischer Exkurs in die Welt der Werbung, der auf ganz hervorragend subjektive Weise vor Augen führte, wie manipulierbar doch das menschliche Gehirn ist. Der Verlag nannte es weitergehend „ein Pamphlet gegen den Totalitarismus von Medien und Werbung sowie gegen die neoliberale Pervertierung der Demokratie“. Was der Roman lehrte: Jährlich werden 500 Milliarden US-Dollar weltweit für so genannte „Kommunikationsmittel“ ausgegeben. Zehn Prozent davon würden laut einer Studie dafür reichen, um den Welthunger zu stoppen. 

Diese politische Überhöhung in der Welt der Marken verpackte Beigbeder in seiner Ich-Erzählung eines zur Räson kommenden Werbers: Octave Parango (Jean Dujardin), 32 Jahre alt und der Branchendroge Kokain zu keiner Tag- und Nachtzeit abgeneigt, arbeitet als erfolgreicher Texter in einer der besten Agenturen von Paris. Er trägt Designerklamotten, schwimmt in Geld, sieht gut aus und wird von allen Kollegen geliebt. Kurzum: Er führt ein glückliches Leben auf der Überholspur. Erst als er seine große Liebe Sophie (Vahina Giocante) kennenlernt und viel zu schnell wieder verliert, gerät er ins Wanken. Zum ersten Mal gewinnt Octave ein wenig Abstand zu seiner Arbeit, bis er erkennt, mit welch banalen und manipulierbaren Mitteln er die Jahre über gearbeitet hat, um immer wieder neue Sehnsüchte und Lüste bei den Kunden der Werbewelt zu wecken. Als er ein Konzept für einen Joghurt-TV-Spot entwickeln soll, entschließt er sich, die subtilen Brainwash-Methoden zu entlarven und offen zu legen. 

Was das Buch bereits anzudeuten vermochte, wird jetzt durch die fulminante Verfilmung von Jan Kounen („Blueberry und der Fluch der Dämonen“) vollendet, der die Zuschauer mitnimmt auf einen cinematografischen Sinnesrausch, der nur so übersprudelt vor tricktechnischen Ideen. Sei es eine auf die Kamera hinab stürzende Schneelawine, die als Sinnbild für die Kokain-Fantasien stehen soll oder der visualisierte Weg, den eine Ecstasy-Pille durch Mund, Rachen und Speiseröhre zurücklegt, bis sie schließlich von der Magensäure zersetzt wird – Jan Kounen versucht stets, den permanenten Rauschzustand seines Protagonisten in grelle Bilder zu packen, die einmal auch einen Drogentrip als kurze, quietschbunte Comic-Sequenz darstellen. Das Gleiche gilt für die Werbewelt: Hier überlappen neonfarbene Bildmontagen mit subtilen Kaufbotschaften, während Octave Parango während Alpträumen in den Kulissen eines Werbespots gefangen ist.   
Ohnehin ist „39,90“ an vielen Stellen viel mehr ein schnell und virtuos geschnittener Clip als ein Film. Das visuelle Konzept des Films ist bewusst angepasst an die makellose Photoshop-Welt der Werbeplakate, über dessen Reize der Film verhandelt. Der Protagonist bewegt sich auf gefährlicher Fallhöhe, dennoch gelingt es ihm, die Welt der Marken zu entlarven, ohne dabei zu moralisieren. Ginge es nach seinen Wünschen, sollten die Menschen allen kommerziellen Gelüsten des Alltags entsagen und in den unzivilisierten Urwald ziehen, um dort das wirkliche Leben und den Boden unter den Füßen wieder zu spüren. Eine naive Idee, die zum Schluss des Films auch für ihn nur ein Wunschgedanke bleibt. 

David Siems

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Ist die Werbung ein Segen oder ein Kreuz? Ein reiner Segen bestimmt nicht, zumal man täglich mit Hunderten von Werbebotschaften und –eindrücken konfrontiert wird. Und wer lässt sich beispielsweise beim Privatfernsehen schon gerne einen Spielfilm von der Haut- und Haarpflege-Werbung unterbrechen?

In Deutschland werden jährlich über 20 Milliarden Euro für Werbung ausgegeben. Weltweit beläuft sich der pro Jahr verpulverte Betrag auf 500 Milliarden US-Dollar. Zehn Prozent davon, sagen die Experten, würden genügen, den Hunger in der Welt zu stillen.

Von der Scheinwelt, vom Übel der Werbung handelt dieser Film. Octave Parango ist ein Werbefritze, ein so genannter Creative-Mann, einer der mit seinem Kollegen Charlie Werbesprüche, und seien sie noch so albern und unbrauchbar, aus dem Ärmel schüttelt und dafür auch noch für ein Genie gehalten wird. Das hat ihn überheblich, zynisch, arrogant und oberflächlich gemacht. Eine Menge Frauen zu bekommen ist für ihn kein Problem.

Er trifft auf Sophie und verliebt sich in sie. Das geht so lange gut, bis die Freundin ihm ihren Schwangerschaftstest zeigt. Positiv. Der Feigling Octave zieht sich sofort zurück.

Er kokst, was das Zeug hält. Die Prostituierte Tamara ist sein Zeitvertreib. Der Zusammenbruch wird nun nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Sein größter Kunde ist der Joghurt-Hersteller „Madone“. Octave dreht zu dessen Zufriedenheit einen positiven Familien- und Allerweltsfilm.

Doch dann folgt eine andere Sequenz: wahrhaftig, den schönen Schein entlarvend, verletzend, die Werbewirksamkeit völlig zerstörend.

Stürzt er sich dafür in den Tod? Haben er und Charlie einige Menschen auf dem Gewissen? Muss Octave ins Gefängnis? Oder taucht gar Sophie mit Kind wieder auf?

Man weiß es nicht genau. Denn der Streifen ist, auch mit seinen Traum- und Phantasiesequenzen, genauso kreativ und visuell fruchtbar wie durcheinandergewirbelt, überladen und mehrdeutig. Ein thematisch wie filmisch interessanter Wurf ist das jedoch allemal.

Die Botschaft kommt an. Die Werbung, dem bekannten Werbekritiker Kalle Lasn zufolge „das am meisten verbreitete und stärkste aller mentalen Umweltgifte“, dürfte nach „39,90“ noch weniger willkommen sein als zuvor. Indirekt wird den Menschen zugerufen: Lasst euch nicht zu Konsumidioten machen!

Übrigens: Wie Jean Dujardin diesen Octave Parango spielt: durchtrieben, den Zeitgeist aufzeigend, die Satire treffend, die ganze Skala der Nuancen durchlaufend, ist schon begutachtenswert. 

Thomas Engel