6 x Venedig

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Die berühmte Touristenstadt - einmal von ihren Einwohnern selbst beschrieben. Der Regisseur Carlo Mazzacurati hat sechs Bewohner von ihrem Leben in der Lagunenstadt erzählen lassen. Die persönlichen Schilderungen der einfachen Einwohner liefern ein anderes Porträt der Stadt als die üblichen glamourösen Bilder vom Markusplatz und den Palästen am Canale Grande. Der Film vermittelt über seine Protagonisten ein Stück gelebter Stadtgeschichte.

Webseite: www.6xvenedig.de

Italien 2010 - Dokumentation
Regie: Carlo Mazzacurati
Länge: 95 Min.
Original mit deutschen Untertiteln
Verleih: Rendezvous-Filmverleih
Kinostart: 29.3.2012

PRESSESTIMMEN:

Einfühlsame Doku über ein Alltags-Venedig abseits der Postkarten-Idylle.
KulturSPIEGEL

FILMKRITIK:

Beim Stichwort Venedig hat wohl jeder Bilder vor Augen. Die Stadt gehört zu den beliebtesten Touristenzielen der Welt und wer noch nicht da war, träumt zumindest davon, einmal die Kanäle und Gassen rund um den Markusplatz mit eigenen Augen zu sehen. Doch im historischen Zentrum der Stadt, dem Objekt der Begierde und Lieferant bekannter Bilder, leben auch Menschen, die hier ihren ganz gewöhnlichen Alltag meistern müssen. Ungefähr 60.000 Bewohner zählt das Zentrum, während 200.000 Venezianer das Festland und die Lagune bevölkern.

Regisseur Carlo Mazzacurati, selber auf dem nahegelegenen Festland wohnend, hat ein Jahr lang das historische Zentrum Venedigs mit der Kamera durchstreift, auf der Suche nach Einwohnern und ihren Geschichten. Wie lebt es sich als normaler Mensch in einer der ungewöhnlichsten Städte der Welt? Wie ist ihr eigener Blick auf den Mythos Venedig? Die Schilderungen von sechs Personen haben Eingang in den Film gefunden. Sie liefern ungewöhnliche Einblicke in das Leben der Stadt, jenseits bekannter Klischees und Abziehbilder.

Da ist der Pensionär Giovanni Galeazzi, der ehrenamtlich im Stadtarchiv arbeitet. Der würdevolle und bescheiden wirkende Mann hilft mit, das historische Gedächtnis der Stadt am Leben zu halten und hat als alleinstehender Rentner hier gleichzeitig einen Ort gefunden, der ihm soziale Kontakte und eine neue Freundin bescherte. Roberta erzählt von zerstobenen Träumen und dem Alltag als Zimmermädchen in einem Luxushotel. Ihr Blick auf das Leben der Reichen richtet sich danach aus, in welchem Zustand die Berühmtheiten ihre Zimmer zurücklassen. So schwärmt sie noch heute von Jerry Lewis, ohne den Star wohl je zu Gesicht bekommen zu haben.

Ernesto Canal hat als Archäologe sein Leben dem Kampf gegen bornierte Behörden gewidmet, die leichtfertig mit den historischen Baudenkmälern umgehen, die in dem Wasser Venedigs schlummern. Carlo, ein Einzelgänger und Maler abstrakter Bilder, fühlt sich von seinen ungebildeten Nachbarn im Stadtteil Burano unverstanden. Sie mögen seine Bilder nicht und der daraus resultierende tägliche Zwist schwappt in einer Szene auch in den Film hinein. Ramiro schwelgt in Erinnerungen an seine wilde Jugend, als er als Dieb an der Seite des legendären Gangster Kociss die Villen ausraubte und die Beute verprasste. Heute versucht er schamhaft vor der Kamera zu verbergen, dass ihm schon ein paar Zähne fehlen und das nötige Geld, um sich Neue einsetzen zu lassen.

Das Finale gehört Massimo. Der dreizehnjährige Junge flirtet frühreif mit den Mädchen und ist nie um einen flotten Spruch verlegen, wenn er aus seinem Viertel Sacca Fisola berichtet, dass er nicht ohne stolz die Bronx von Venedig nennt. Zum Schluss sieht man ihn, wie er mit dem stolzen Vater ein traditionelles Lied singt. Ein zärtliches Zeichen, wie Geschichte und Gegenwart sich in Venedig vereinen und sich die ständig vom Zerfall bedrohte Stadt immer wieder aufs Neue revitalisiert. Man hätte den sechs Protagonisten noch länger zuhören können, etwa wenn Roberta berichte, wie ihr Vater als echter Gondoliere dem berühmten Marcello Mastroianni für eine Filmszene eine Ohrfeige verpassen durfte.

Carlo Mazzacurati hat seinen Protagonisten Aufmerksamkeit und Zeit gewidmet und die Sechs als Stellvertreter der Sechzigtausend haben es ihm mit lebendigen Geschichten gedankt.

Norbert Raffelsiefen

Venedig einmal anders. Man kennt es normalerweise nur von San Marco, vom Campanile, vom Dogenpalast, von den Tauben, von den Touristenmassen, vom Canale Grande, von den Überschwemmungen, vom Carnaval usw.

In diesem Dokumentarfilm kommen echte Venezianer zu Wort, die für einen Kaffee auf dem Markusplatz keine 10 oder 15 Euro bezahlen, die die Stadt kennen und lieben, die in den Außenbezirken wohnen, die ihr ganzes Leben in der Lagunenstadt verbrachten:

Der Rentner, der noch begeistert als Archivar arbeitet. In Hunderten von alten Dokumenten und Büchern ist über Venedig stets Neues zu entdecken.

Das Zimmermädchen in einem der feudalsten Hotels, das erzählt, dass alle Männer in ihrer Familie Gondolieri waren oder sind und das sich noch an den Geruch von Jerry Lewis erinnert, der mehrere Male in einem der Zimmer des Hotels wohnte.

Der Amateur-Archäologe, der trotz praktischer und technischer behördlicher Widerstände beweisen konnte, dass die Stadt nicht erst in römischer Zeit sondern bereits in paläontologischen Epochen besiedelt war.

Der Maler auf einer Laguneninsel, der von der einheimischen Dorfbevölkerung abgelehnt wird, weil er abstrakt malt und als so etwas wie ein Philosoph gilt.

Der ehemalige Einbrecher, der lange Zeit in seiner Gang ein unstetes und eher kriminelles Leben führte und natürlich auch das Gefängnis von innen kannte – bis er die Kurve kriegte und jetzt sich um eine ordentliche Existenz bemüht. Am Schluss wird gesagt, dass er, der Koch, sogar wieder Arbeit fand.

Der Junge aus dem Armenviertel, der den Basketball liebt, sein Leben schildert und in absolut liebevoller Weise über seine Eltern spricht.

Es lohnt sich wirklich, Venedig einmal von dieser Seite und von diesen Menschen her zu sehen. Man lässt sich den formal einfachen wenn auch naturgemäß reich bebilderten Film gerne gefallen..

Thomas Engel

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