A Useful Ghost

Wie sähe es aus, wenn man in die Abgründe einer Gesellschaft blickt, in der selbst Geister ihren Nutzen beweisen müssen? Diese Frage steht im Mittelpunkt von Ratchapoom Boonbunchachokes skurril melancholischer Fantasy-Dramödie „A Useful Ghost“ – einer thailändisch-französisch-singapurisch-deutschen Koproduktion, die nicht nur als Beitrag Thailands für den Auslandsoscar 2026 eingereicht wurde, sondern auch in Cannes mit dem Hauptpreis der Semaine de la Critique ausgezeichnet wurde.​

 

Über den Film

Originaltitel

Pee Chai Dai Ka

Deutscher Titel

A Useful Ghost

Produktionsland

THA,FRA,DEU,SGP

Filmdauer

130 min

Produktionsjahr

2025

Regisseur

Boonbunchachoke, Ratchapoom

Verleih

Little Dream Pictures GmbH

Starttermin

26.03.2026

 

Die Story beginnt mit einem Todesfall: March, der Sohn eines Fabrikbesitzers, trauert um seine Frau Nat, die an einer Atemwegserkrankung aufgrund von Feinstaubbelastung gestorben ist. Doch Nat kehrt in klassischer Geistermanier zurück – allerdings nicht als spukhafte Erscheinung, sondern in einem Haushaltsgegenstand, der paradoxerweise mit Staub ebenso kämpft wie gegen das Vergessen: in einem Staubsauger. Doch selbst als Staubsauger muss Nat noch ihre Nützlichkeit für Gesellschaft und Wirtschaft unter Beweis stellen, um mit ihrem Mann zusammen sein zu dürfen. Aus dieser absurden Prämisse entspinnt sich eine vielschichtige Fabel, die viel mehr ist als ein romantischer Spuk oder eine wüste Geistergeschichte und die tieferliegende Strukturen von Trauer, Familie, Klassenkonflikt und gesellschaftlicher Verdrängung offenlegt.​

Boonbunchachoke versteht es, mit visueller Präzision und erzählerischer Raffinesse Bilder zu schaffen, die – bei aller Überzeichnung – den Kern einer Gesellschaft treffen, die Widerspruch nicht duldet und Nützlichkeit zum höchsten Gut erhebt. Hinter der Fassade der wohlhabenden Familie tobt der Kampf um Anerkennung und Akzeptanz: Marchs Angehörige verweigern die Annahme der Geisterbeziehung, während Nat, der Geist in einer neuen Gestalt, alles versucht, um sich nützlich zu machen – nicht zuletzt, um die Fabrik, ihre Familie und ihre Liebe zu retten.​

Klassische Horrormotive werden dabei liebevoll gegen den Strich gebürstet: Nat im/als Staubsauger wird nicht allein bleiben, sondern es wird bald noch mehr Spukgestalten in unterschiedlichen Erscheinungsformen geben. Die Geister sind mal störende, mal steuerbare Kräfte – und ihre politische und wirtschaftliche Instrumentalisierung wird genüsslich entlarvt. „A Useful Ghost“ ist damit weit mehr als eine schräge Geisterkomödie. Der Film lotet mit schwarzem Humor und viel Empathie die Tragikomik menschlicher Beziehungen aus – die hier stets zwischen Bürokratie, Tradition und Befreiungsschlag gefangen sind. Staub dient dabei nicht nur als Symbol für Vergänglichkeit und Verschmutzung, sondern wird zur allgegenwärtigen Bedrohung, die sich durch Wohnungen, Fabriken und gesellschaftliche Schichten zieht.

Formal überzeugt der Film durch seine Bildgestaltung (Kamera: Pasit Tandaechanurat), die zwischen surrealer Absurdität und poetischer Präzision pendelt. Jedes Bild scheint hier durchkomponiert und aufgestylt zu sein, was eine enorme Wirkung hat – immer wieder konterkariert Boonbunchachoke die Erwartungshaltung des Publikums und trifft mit unerwarteten Blicken, kleinen Gesten, Kameraschwenks oder messerscharfer Montage ins Schwarze.​

Die Darsteller agieren herausragend: Davika Hoorne gelingt es, der hybriden Geisterfigur Nat eine bemerkenswerte Mischung aus Humor, Melancholie und Rebellion zu verleihen. Wisarut Himmarat überzeugt als sensibler Witwer, der zwischen Liebe, Trauer und sozialem Druck zerrissen ist. Die Nebenfiguren dienen nicht nur als Stichwortgeber, sondern sie verdichten das Panorama einer Familie (und eines Landes), in der das Übersinnliche beinahe Normalität zu sein scheint.

Möglicherweise verlangt der Film dem Publikum zuweilen etwas Geduld ab – sein experimentelles, episodenhaftes Erzählen und die Vielzahl an Anspielungen sind durchaus anspruchsvoll, wobei die manchmal plakative Symbolik natürlich zum Konzept gehört und das Augenzwinkern Teil der Handschrift ist. Genau darin liegt aber auch die Stärke: „A Useful Ghost“ ist originell, verspielt und bitterböse zugleich. Er wirbelt im wahrsten Sinne des Wortes Staub auf, wo andere lieber das gnädige Tuch des Vergessens darüberlegen würden. Dieses Bildnis einer Gesellschaft wird haften bleiben – eine Gesellschaft, in der sogar die Geister funktionieren müssen. Es sei denn, sie sind unbequem, dann werden sie „ausgetrieben“, aus der Fabrik, aus der Familie und aus der Erinnerung.


„A Useful Ghost“ ist eine wilde, sozialkritische, traurige und sehr komische Geistergeschichte, die in ihrer Eigenwilligkeit und Vielschichtigkeit lange nachwirkt und das Publikum gleichermaßen fordern wie begeistern könnte: ein Film, der Genres, Erwartungen und Herzen durcheinanderwirbelt – und damit sogar selbst ein bisschen zum nützlichen Geist wird.

 

Gaby Sikorski

Mehr lesen

Neuste Filmkritiken

ℹ️ Die Inhalte von programmkino.de sind nur für die persönliche Information bestimmt. Weitergabe und gewerbliche Nutzung sind untersagt. Nachdruck nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Filmkritiken dürfen ausschließlich von Mitgliedern der AG Kino-Gilde für ihre Publikationen verwendet werden.