Ab ans Meer

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Kinderfilme aus Tschechien haben eine lange Tradition, die der in seiner Heimat bekannte Schauspieler Jiří Mádl mit seinem ambitionierten, sehenswerten Regiedebüt "Ab ans Meer" fortsetzt und modernisiert. Klassische Motive vom Erwachsenwerden, Freundschaften und Problemen mit den Eltern verbindet er mit moderner Technik und zeitgenössischen Fragen.
 
Webseite: www.abansmeer.de

OT: Pojedeme k mori
Tschechien 2014
Regie & Buch: Jiří Mádl
Darsteller: Petr Šimčák, Jan Maršál, Lucie Trmíková, Ondřej Vetchý, Jaroslava Pokorná, Anastázie Chocholatá, Roman Nevěčný
Länge: 88 Minuten
Verleih: Der Filmverleih
Kinostart: 11. August 2016
 

FILMKRITIK:

Zu seinem elften Geburtstag bekommt Thomas (Petr Šimčák) eine Videokamera geschenkt und macht sich gleich dran, seinem Vorbild Milos Forman nachzueifern. Fortan filmt er alles: sich, seine Eltern, seine Klassenkameraden, kurz: sein Leben. Zusammen mit seinem besten Freund, dem Kroaten Harris (Jan Maršál), beschließt Thomas einen Film zu drehen, der auch mit versteckter Kamera gedreht wird.

Auf diese Weise erfährt er bald, dass sein Vater (Ondřej Vetchý) ihn anlügt. Regelmäßig verlässt er im Geheimen das Haus und scheint eine Affäre zu haben. Die Mutter (Lucie Trmíková) scheint von alledem nichts zu wissen und so holt sich Thomas bei seiner Großmutter (Jaroslava Pokorná) Rat. Doch Thomas Probleme sind nichts im Vergleich zu denen seines Freundes Harris: Sein Vater schlägt regelmäßig die Mutter, so dass der einzige Ausweg die Flucht zurück in die Heimat zu sein scheint, zurück nach Kroatien, ans Meer.

Im Kinderfilm wurde das so genannte Found Footage bislang noch nicht verwendet, jener besondere Kamerastil bei dem suggeriert wird, dass die Protagonisten selbst die Kamera in der Hand halten und man das sieht, was sie filmen. Besondere Authentizität verspricht dieses Konzept, eine besonders unmittelbare filmische Erfahrung, weswegen es oft im Thriller oder Horror-Genre angewendet wird.

Hier sind es nun zwei elfjährige Kinder, die anfangs mit einer, später mit zwei Kameras ihr Leben filmen, was Mádl mit allerlei Kameratricks zu suggerieren versucht: Mal liegt die Kamera auf der Wiese, mal steht sie auf dem Schrank, später deuten vor die Linse hängende Blätter den Versuch der Jungs an, im Geheimen, mit versteckter Kamera zu filmen. Ganz glaubwürdig ist dieses spezielle Konstrukt selten, der Versuch, bewusst unprofessionelle Bilder zu filmen, die dann auch noch angeblich am privaten Computer zu einem Film zusammengeschnitten wurden, wirkt meist etwas bemüht. Dass es hier zudem zwei Kinder sein sollen, die einen einerseits unbeholfenen, aber andererseits doch runden, von einer deutlichen dramaturgischen Struktur geprägten Film gedreht haben sollen, wirkt nur bedingt überzeugend.

Wirklich notwendig wäre das Found Footage-Format hier ohnehin nicht, zumal die Subjektivität der Geschichte allein schon durch Thomas Erzählerstimme deutlich wird. Viel wichtiger als die Herkunft der Bilder sind dann auch die Emotionen, die Erlebnisse von Thomas und Harris. Die bestehen zum Teil aus den typischen Motiven eines Kinderfilms, der Schwärmerei für ein hübsches Mädchen aus der Klasse oder dem Versuch, endlich beim Fußballteam mitspielen zu können. Doch Jiří Mádl hat noch mehr im Sinn, schneidet Themen wie häusliche Gewalt an, dem Verdacht, der Angst vor einer Trennung der Eltern und verleiht seinem sehenswerten Regiedebüt "Ab ans Meer" dadurch eine gerade für einen Kinderfilm erstaunliche Substanz.
 
Michael Meyns