Achterbahn

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Über eine unscheinbare Zeitungsnachricht fand Regisseur Peter Dörfler den Stoff, der sich als Glücksfall für den Dokumentarfilmer heraus stellte. Die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Schaustellerkönigs Nobert Witte, der nach der Wende den Vergnügungspark „Kulturpark-Berlin“ in Ostberlin übernahm, ihn zum „Spreepark“ hochrüstete, pleite machte und sich nach Peru absetzte, bietet echtes Drama, schillernde und auskunftsbereite Hauptdarsteller und melancholische Kindheits-Sehnsuchtsbilder aus der Welt der Karussells und Autoscooter.

Webseite: www.achterbahn-der-film.de

Deutschland 2009
Regie + Kamera: Peter Dörfler
Schnitt: Peter Dörfler, Vincent Pluss
Musik: Bernd Schultheis
Mit: Norbert Witte, Pia Witte, Marcel Witte, Sabrina Witte
88 Minuten
Verleih: rohfilm / Die Filmagentinnen
Kinostart: 2.7.2009
 

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Von den Bildern des geschlossenen Vergnügungsparks „Spreepark“ in Berlin, mit denen ACHTERBAHN beginnt, geht ein melancholischer Charme aus. Wie verwunschen schlafend liegen die großen Sauriermodelle auf der Seite. Die Reste bunter Karussellanlagen erinnern an längst vergangene, verblichene Kinderträume. Träume einer prächtigen Spaßwelt, wie sie auch der einstige Besitzer, der charismatische Schaumschläger Norbert Witte, hatte. Von den großen Träumen ist in der Gegenwart nicht viel geblieben. Witte sitzt in der JVA Plötzensee in Berlin eine 7-jährige Strafe für versuchten Rauschgiftschmuggel ab und arbeitet als Freigänger in einer Tabledance-Bar. Sein Sohn Marcel ist für das gleiche Vergehen in Peru zu 20 Jahren Haft verurteilt worden und seine Frau Pia wirft ihm vor, das Leben seines Sohnes ruiniert zu haben. Zusammen mit Tochter Sabrina kämpft sie um Marcels Freilassung oder wenigstens seine Überstellung nach Deutschland.

Ausgehend von den Bemühungen der Familie, Marcel in Lima aus dem Gefängnis zu holen, erzählt Peter Dörfler in Rückblicken die dramatische Geschichte von Aufstieg und Fall des Schaustellerfamilie Witte. Von bescheidenen Anfängen auf dem Hamburger Dom führt die Reise nach Jugoslawien und Italien und schließlich nach Berlin, wo Witte nach der Wende den DDR-Vergnügungspark „Kulturpark-Berlin“ im Plänterwald übernimmt, zum „Spreepark“ hochrüstet und ihn dann gemeinsam mit dem Berliner Senat ruiniert, bevor er sich mit 15 Millionen Euro Schulden und mehreren Fahrgeschäften aus der Insolvenzmasse nach Peru absetzt, um dort einen Neustart zu wagen.

Als Zeugen der Ereignisse lässt Dörfler fast ausschließlich die Familie Witte, ihre Anwälte und loyale Kollegen aus den Dom- und Spreepark-Tagen zu Wort kommen. ACHTERBAHN geht es nicht um eine Aufarbeitung der Skandale, der nachträglichen Baugenehmigungen, Schmiergeldaffären und Fahrlässigkeiten, die Wittes Karriere begleiten und von denen man eher am Rande erfährt, sondern um das Porträt einer faszinierend schillernden Familie. Noch in seinem angeschlagenen Zustand im Gefängnis entfaltet Witte, der auf alten Fotos in Aussehen und manischer Ausstrahlung dem jungen Fassbinder ähnelt, einen beträchtlichen Charme und Unterhaltungswert. Ebenso Ehefrau Pia, die jahrelang alleine mit zwei kleinen Kindern jugoslawische Rummelplätze bereiste und der man im Film dabei zusieht, wie sie tough und gestylt peruanische Hinterhöfe abklappert und fachmännisch verrottete Karusselle begutachtet. Der Zusammenhalt der Familie durch alle Höhen und Tiefen ist beeindruckend. Wie weit man ihrem Selbstbild Glauben schenkt, bleibt jedem Zuschauer selbst überlassen.

Hendrike Bake

Man könnte es Schicksal nennen, allerdings kein tragisches, sondern ein selbstverschuldetes.

Es geht um Norbert Witte, den König der Schausteller. Jedenfalls wollte er das partout sein. Und dieser übersteigerte Ehrgeiz wurde ihm zum Verhängnis.

Schon 1981 traf es ihn. Auf dem Hummelfest in Hamburg krachte eines seiner Fahrgeschäfte mit einem Kran zusammen. Sieben Tote und mehrere Verletzte.

Jedes Mal, wenn es bergab gegangen war, rappelte er sich wieder hoch. 1990 beispielsweise, als er einen früheren DDR-Vergnügungspark zum erfolgreichen „Spreepark“ machte. Bis das Land Berlin die dazugehörigen Parkplätze einer anderen Verwendung zuführte. Ergebnis: starker Umsatzrückgang, Insolvenz.

Aber Witte hielt sich für schlauer. Sechs Fahrgeschäfte ließ er verladen und verschiffen – nach Peru.

Dort gab der Zoll die Ware nicht frei. Frau und Kinder waren längst da, doch die Geschäfte kamen nicht in Schwung. Vielleicht waren die Bestechungssummen zu niedrig. Denn ohne Bestechung, das wird in diesem Film überdeutlich, läuft in Peru nichts.

Die Familie flog nach Deutschland zurück. Witte musste sich auf Gedeih und Verderb Geld beschaffen. Er ließ sich mit Drogendealern ein. Eine Riesenmenge Kokain wollte er nach Europa transportieren. Nur transportieren.

Ein Undercover-Einsatz der peruanischen Polizei. Alles flog auf. Zu 20 Jahren wurde Wittes indirekt beteiligter Sohn Marcel verurteilt. Witte selbst hatte sich rechtzeitig
absetzen können. In Deutschland hat er seine sieben Jahre Haft verbüßt – und will einen neuen Vergnügungspark aufbauen.

Das Schlimmste: Der Sohn ist nicht frei. Seine Mutter Pia Witte, einst im Geschäft entscheidende Kraft, inzwischen
längst von ihrem Gatten getrennt und nicht bereit, ihm zu vergeben, kämpft, tatkräftig unterstützt von einer der Töchter, um die Erlösung Marcels aus dem Gefängnis in Lima, das für ein paar hundert Gefangene ausgelegt wurde, in dem jedoch 3000 einsitzen. Entsprechend mörderisch – im wahrsten Sinne des Wortes – und höllenartig sind die Bedingungen.

„Achterbahn“ ist der richtige Titel für diesen Film. Erstens natürlich weil es um das Schaustellergewerbe geht, und zweitens weil man im Leben einer Familie selten ein derartiges Auf und Ab antrifft. Der Dokumentarfilm ist – bei aller Schuld der Hauptperson – als Charakterbild bedenkens- und des Anschauens wert. Interessantes Material wurde zusammengetragen, und montiert ist es sehr gut. Norbert Witte wird sich kaum je ändern. Die stärkere Rolle hat nunmehr im Kampf um die Befreiung ihres Sohnes Pia Witte.

Thomas Engel