Ai Weiwei – Never Sorry

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Er hat dem Platz des Himmlischen Friedens und, wenn man so will, auch dem dortigen Mao-Porträt in einer Fotoserie den Mittelfinger gezeigt. Er hat sich für eine Videoarbeit zu Kollegen und Mitstreitern gesellt und „Fick dich, Vaterland“ in die Kamera gesagt. Und er hat einen regen Blog betrieben, bis es den Autoritäten zu viel damit wurde. Die amerikanische Dokumentaristin Alison Klayman hat den chinesischen Künstler Ai Weiwei porträtiert, seinen Kampf und sein Privatleben. Ihre Arbeit zeigt einen schillernden, faszinierenden Charakter und lässt dabei jede journalistische Distanz hinter sich.

Webseite: www.aiweiwei-neversorry.de

USA 2012 / Dokumentation
Regie & Buch: Alison Klayman
Filmlänge: 91 Minuten
Verleih: DCM Film Distribution
Kinostart: 14. Juni 2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Ai Weiwei war maßgeblich am Entwurf des Vogelnestes beteiligt, dem Symbol der Olympischen Spiele von Peking im Jahre 2008. Doch an der Eröffnungsfeier nahm der kontroverse Künstler nicht teil, sie war für ihn eine Propagandaveranstaltung für Touristen – während die Einwohner der Stadt von seinem Werk und den Spielen an sich nichts hätten. Dieser Protest ist Anlass und Beginn von Alison Klaymans Film, für den sie Ai drei Jahre lang begleitet hat und der seine Erzählung lose um eine Polizei- und Justizposse strukturiert: Ai hatte in mehreren Projekten der toten Kinder des verheerenden Erdbebens von 2008 in der Provinz Sichuan gedacht, ihre Namen gesammelt, veröffentlicht und sowohl die Vertuschungstaktik der Behörden als auch die Schlampereien am Bau öffentlich kritisiert – genau wie der Aktivist Tan Zuoren, der dafür vor Gericht gestellt wurde. Ai war als Zeuge geladen, wurde jedoch von der Polizei auf seinem Hotelzimmer festgehalten und geschlagen, Tan zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Und damit beginnt für Ai eine Odyssee durch die Amtsstuben, auf denen er wieder und wieder die Polizeigewalt anzeigt und – vergeblich – auf ein Verfahren gegen die Beamten hofft.

Immer dabei hat Ai Freunde und Mitarbeiter, also potenzielle Zeugen, sein Fotohandy, Digitalkameras. Diese lückenlose Dokumentation dient freilich ebenso dem Selbstschutz wie der Gegenpropaganda, und sie sorgt für einen absurden Moment des Meta-Kinos in Klaymans Film. Ai Weiwei hat sich mit seiner Gruppe auf dem Bürgersteig niedergelassen vor einem Restaurant, zum Essen, die Polizei fürchtet, wohl nicht zu unrecht, ein politisches Happening und entscheidet sich, die Sache zu filmen. Also sieht man den starren Blick des Polizei-Camcorders, der Klayman filmt, wobei Ais Assistent wiederum dem Polizisten über die Schulter filmt – eine Standardsituation des Actionfilms, in dem hier Kameras die Pistolen ersetzen: Der letzte, auf den keine gerichtet ist, gewinnt.

Die symbolische Komik dieses Augenblicks verdrängt dabei ausnahmsweise den Gedanken, wie schwer es sein muss, authentische Bilder zu produzieren über einen, der selber ein großer Bilderproduzent ist, ein Kommunikator, der unablässig über Twitter und seinen mittlerweile verbotenen Blog publiziert hat. Natürlich gelingt es Klayman, die an sich sehr gekonnt ihre eigenen Aufnahmen mit denen ihres Protagonisten, mit seinen Twitter-Nachrichten und Interviews mit Kollegen, Kuratoren und Wegbegleitern collagiert, nicht immer, ihren eigenen Blick von dem Ais zu lösen. Einmal ist ein Gespräch zu sehen in der Tate Modern, in dem ein britischer Journalist den Künstler zu seinem unehelichen Sohn befragt: Was sagt denn ihre Ehefrau dazu? Und es bleibt offen, ob Klayman sich selbst nicht getraut hat, diese Frage zu stellen oder ob sie ihr verzichtbar schien, weil sie sicher war, dass dieser Journalist eine genau so ehrliche Antwort wie sie selber bekommen würde.

Klayman hat ein Heldenporträt gedreht, das das politische Wirken Ais in den Vordergrund stellt. Seine Werke wie der Teppich aus 100 Millionen „Sunflower Seeds“ in ebendieser Tate Modern sind ihr wenig mehr als Ausdruck seiner Gesinnung – vielleicht würde der Künstler das genauso sehen. Aber in den intimen Momenten mit seiner Familie entstehen genau die überraschenden Einblicke und Reibungspunkte, die der Film ansonsten vermissen lässt: Fernab der Kamera, aber von Klayman herangezoomt, spricht Ais Mutter mit ihm über ihre Ängste, darüber, was passieren könnte, wenn ihr Sohn sich weiter so offen mit den Autoritäten anlegt.

Tim Slagman

Ai Wei Wei ist einer der bekanntesten Künstler Chinas. Er ist Maler, Fotograf, Galerist, Organisator von Ausstellungen (Kassel, München, London, Tokio, Bern, Berlin usw.), Architekt, Verleger, Sammler und noch vieles andere mehr. Vor allem kommuniziert er mit der Welt über das Internet, und das hat mit seinem Drang nach Freiheit und Gerechtigkeit zu tun.

Zehn Jahre lebte er als junger Mensch in New York, und nun sagt er selbst, wer einmal die Freiheit genossen habe, könne auf sie nicht mehr verzichten. Die Freiheit aber ist in seinem Land, in China, sehr eingeschränkt. „Ihr löscht andauernd meine Beiträge, also stelle ich sie einfach erneut ins Netz. Worte kann man löschen, aber die Fakten bleiben bestehen.“

Schon sein Vater war ein bedeutender Dichter, litt zu Maos Zeiten unter Verfolgung. Heute geht es Ai Wei Wei nicht anders. Allerdings hat er eine riesige Gemeinde von Bewunderern, deshalb muss das kommunistische Regime vorsichtig sein. „Dieses Land verschwendet die Hälfte seiner Energie darauf, die Menschen daran zu hindern, an Informationen zu kommen oder miteinander zu kommunizieren. Die andere Hälfte verschwendet es darauf, diejenigen von uns ins Gefängnis zu stecken, die Zugang zu Informationen haben und versuchen, diese weiterzugeben.“

Eine seiner spektakulärsten Initiativen: Nach dem großen Erdbeben in der Provinz Sichuan veröffentlichte er die Namen von über 5000 Kindern, die umgekommen waren. (In Wirklichkeit waren es noch mehr.) Sie starben, weil sie in billig gebauten Schulen untergebracht waren, die dem gewaltigen Druck nicht standhielten. Schuldig: die Behörden des Landes.

Er ist einer der mächtigsten Kämpfer für Freiheit und Demokratie, einer der mächtigsten Kritiker des Regimes in seinem Land. Deshalb wird er geschlagen, kommt ins Gefängnis, erhält Sprechverbot, muss ein neu gebautes Studio in Shanghai abreißen lassen, bekommt hohe Steuerbescheide und andere Schikanen mehr. Aber er lässt sich nicht unterkriegen.

In unzähligen Bildbeiträgen, Aktionen, Selbstzeugnissen, Erklärungen, Begründungen, Zeugnissen von befreundeten Künstlern, Schilderungen von Eingriffen der Polizei, Ausstellungsszenen, privaten Aufnahmen (mit seinem kleinen Sohn), Gesprächen mit der Mutter, usw. rollen Leben und Kampf in diesem Dokumentarfilm (Herstellungszeit drei Jahre) vor dem Zuschauer ab. Dass Ai wei Wei sehr diskret vorginge, kann man nicht gerade sagen. Er stellt sich gerne in den Mittelpunkt, genießt seine Berühmtheit.

Ein bedeutender Künstler, ein Mahner, ein Kämpfer, ein moderne Mittel Nutzender, auch ein im positiven Sinne leicht Verrückter, zweifellos ein Original, eine Berühmtheit, einer, der Leben und Kunst für identisch hält, einer, der seiner diktatorischen Regierung die Meinung sagt, ein Mann, der die volle Unterstützung der Welt verdient.

Thomas Engel