Als bekanntester Künstler Chinas wird Ai Weiwei gerne im Westen bezeichnet, wo Ai seit Langem lebt, arbeitet und für seine Kritik an seiner Heimat bekannt ist und geschätzt wird. Was genau der Tausendsassa Ai eigentlich macht dürfte dabei vielen gar nicht so bewusst sein, insofern passt es, dass er ab 2020 auch eine Oper inszenierte, deren Entstehung Maxim Derevianko in „Ai Weiweis Turandot“ beobachtet hat.
Über den Film
Originaltitel
Ai Weiweis Turandot
Deutscher Titel
Ai Weiweis Turandot
Produktionsland
ITA,USA
Filmdauer
78 min
Produktionsjahr
2025
Produzent
Cohen, Andy S.
Regisseur
Derevianko, Maxim
Verleih
Rise And Shine Cinema UG
Starttermin
16.10.2025
Er habe keine Ahnung von Oper und höre eigentlich auch kaum Musik hört man Ai Weiwei zu Beginn des Dokumentarfilms sagen. Doch was andere davon abgehalten hätte, eine Oper zu inszenieren, scheint Ai Weiwei erst angespornt zu haben. Gerade wenn der Leiter des Opernhauses von Rom mit einer passenden Idee an den Chinesen herantritt: Eine neue Version von Giacomo Puccinis letzter Oper Turandot soll Ai Weiwei inszenieren, denn diese Oper spielt – in Peking.
Der Hauptstadt jenes Landes also, an dem sich Ai Weiwei seit Jahrzehnten abarbeitet, das er für die einschneidende Zensur kritisiert, für das ungezügelte Wirtschaftswachstum, das eine Zeitlang zunehmende Freiheit versprach, sich inzwischen jedoch zu einem veritablen Überwachungsstaat entwickelt. Immer wieder war Ai Weiwei im Laufe der Jahre im Gefängnis, wurde sein Atelier in Peking zerstört, passiert ihm wohl in erster Linie deshalb nichts schlimmeres, weil er im Ausland so bekannt ist, weil er dort der bekannteste Künstler Chinas ist.
Vor 35 Jahren jedoch war auch Ai Weiwei noch unbekannt und schlug sich in New York durch. Damals hatte er eine winzige Rolle in einer Turandot-Inszenierung des bekannten Film- und Bühnenregisseurs Franco Zeffirelli, erst recht ein Grund also, selbst einmal Regie bei der Oper zu führen.
Voller Elan und Enthusiasmus begannen die Proben, Ai entwarf ein ausschweifendes Bühnenbild, auch die Kostüme versprachen bunt und prächtig zu werden, doch dann machte Covid den Plänen einen Strich durch die Rechnung. Zum ersten Mal in seiner Geschichte musste das ehrwürdige Opernhaus Rom schließen, selbst während der Weltkriege und der Spanischen Grippe hatte der Betrieb aufrechterhalten werden können, wie der Direktor berichtet, doch Covid war zu viel.
Für einen interessanten Aspekt sorgte die Zwangspause jedoch: Da der ursprüngliche Dirigent nun nicht mehr zur Verfügung stand wurde als Ersatz die Ukrainerin Oksana Lyniv engagiert, deren Heimat zum Zeitpunkt der Premiere im März 2022 gerade von Russland angegriffen wurde.
Eine zusätzliche Konnotation, auf die alle sicher gerne verzichtet hätten, die Puccinis Oper jedoch noch aktueller werden lässt. Denn neben der Liebe wird auch von Tyrannei und Unterdrückung erzählt.
In seiner typischen Art inszeniert Ai Wei Wei Turandot mit Verweisen an zahllose Themen und Krisen, vom Krieg in der Ukraine über die Flüchtlingskrise, bis zur Einschränkung der Meinungsfreiheit in seiner Heimat und darüber hinaus. „Alles ist Kunst, alles ist Politisch“ wird er zitiert, ein Motto, dem alle Beteiligten an der Oper zuzustimmen scheinen und das auch Maxim Derevianko seinem Film auf die Fahnen schreibt. Aber reicht es, alles zu Kunst zu erklären?
Im Rausch der Inszenierung scheinen die politischen Konnotationen jedenfalls ein wenig unterzugehen, geht es am Ende doch eher um die tragische Liebesgeschichte, die mit der berühmten Arie „Nessun Dorna“ ihren Höhepunkt findet. Auch die ist in „Ai Weiweis Turandot“ zu hören, zumindest ansatzweise. Mehr als das, was auf der Bühne passiert, steht hier das dahinter im Mittelpunkt, die Genese einer Inszenierung, die kurze – kaum 75 Minuten lang ist der Film – aber interessante Einblicke in das Wesen von Ai Weiwei gibt.
Michael Meyns