Aisha Can’t Fly Away

Wie wichtig das Thema Migration geworden ist, merkt man dem Kino an, dem westlichen, aber auch dem internationalen: Aus Ägypten kommt Morad Mostafas „Aisha can’t Fly Away“, der in Cannes in der Sektion Un Certain Regard gezeigt wurde, und von einer Migrantin aus dem Sudan erzählt, die in Kairo zu überleben versucht. Ein eindringlicher Film, der harschen Sozialrealismus mit surrealen Elementen vermischt.

 

Über den Film

Originaltitel

Eayshat Lam Taeud Qadiratan Ealaa Altayaran

Deutscher Titel

Aisha Can’t Fly Away

Produktionsland

EGY,TUN,FRA,SAU,QAT,SDN

Filmdauer

123 min

Produktionsjahr

2025

Regisseur

Mostafa, Morad

Verleih

Rapid Eye Movies HE GmbH

Starttermin

15.01.2026

 

Aus dem von Bürgerkrieg geplagten Sudan ist Aisha (Buliana Simon Arop) nach Kairo geflohen, ein Moloch mit zehn Millionen Einwohnern, die Hauptstadt Ägyptens. Als Flüchtling, noch dazu als schwarze Frau hat sie es erst recht nicht leicht, zudem lebt sie im heruntergekommen Stadtviertel Ain Shams.

Aisha arbeitet als Pflegerin, macht Hausbesuche bei alten Menschen, ein Job, der nicht genug zum Leben einbringt. Um ihre Miete zu bezahlen, zwingt ihr Vermieter Zuka (Ziad Zaza) sie dazu, Nachschlüssel zu den Wohnungen ihrer Patienten zu beschaffen, damit Zuka und seine Gang die alten Menschen überfallen und ausrauben können.

Lange geht alles gut, doch nachdem bei einem Überfall fast jemand ums Leben kommt, schöpft Aishas Arbeitgeber verdacht. Nur um einen Patienten könnte sich Aisha noch kümmern, den an den Rollstuhl gefesselten Mr. Khalil (Mamdouh Saleh). Doch der ist keineswegs so harmlos wie er auf den ersten Blick wirkt, sondern nötigt Aisha im Gegensatz zu sexuellen Gefälligkeiten.

Harsch und realistisch beschreibt Morad Mostafa das Leben seiner Hauptfigur, schildert ihren Alltag in sich wiederholenden Szenen, die immer gleichen Handbewegungen, die Monotonie eines Lebens, das fast nur aus Überleben besteht. Und ständig der Druck vom Arbeitgeber und dem bedrohlichen Zuka, die um Aishas Notlage wissen und keine Skrupel haben, sie auszunutzen.

Nur selten sind Aisha Momente vergönnt, in denen sie einfach nur die junge Frau sein kann, die sie ist. Manchmal trifft sie Tawfiqah, eine andere Sudanesin, die ihr Schicksal teilt aber bald weiterzieht. Und auch die Freundschaft mit dem Koch Abdoun, der ihr heimlich einheimische Gerichte kocht, zerschlägt sich bald, denn auch wenn es wirkt, als könnte sich da etwas entwickeln: Aishas Nationalität steht dem im Wege.

Allein diese Elemente würden „Aisha can’t Fly Away“ schon zu einem interessanten Film machen, zumal Regisseur Morad Mostafa selbst in Ain Shams aufgewachsen ist und daher die Schönheit und Abgründe seines Viertels besonders authentisch zeigt. Harsch wirken die Bilder vom Leben und Elend in einem der ärmsten Viertel Kairos, unbarmherzig oft die Menschen, doch kleine Momente der Hoffnung deuten an, dass trotz allem nicht alles verloren ist.

Doch dann, vielleicht ausgelost durch den zunehmenden Druck, dem sich Aisha ausgesetzt sieht, entwickelt sie einen seltsamen Ausschlag, ein narratives Element, das mit Motiven des Body Horrors spielt. Als Allegorie für Aishas innere Zerrissenheit mag das ebenso wenig subtil sein, wie der große Strauss der immer wieder durchs Bild läuft. Doch das Spiel mit Genremustern macht aus einem klassisch sozialrealistischen Film etwas Ungewöhnliches: Den Versuch zu ergründen, wie die Strukturen von Migration und Ausbeutung sich physisch auf einen Menschen auswirken.

Ein bemerkenswerter Debütfilm, dem man nicht zuletzt deswegen viele Zuschauer wünscht, weil er einen anderen Blick auf das allgegenwärtige Thema Migration wirft und zeigt, dass nicht nur der reiche Westen einen Fluchtort darstellt.

 

Michael Meyns

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