Al Berto

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Das ambitionierte, von vielschichtigen Figuren bevölkerte Biopic folgt den Spuren von Al Berto, einem der bekanntesten Dichter Portugals. Der Film konzentriert sich auf die mittleren 70er-Jahre, als der junge homosexuelle Poet unmittelbar nach der Revolution in einer Hafenstadt eine Künstler-Kommune gründet – und sich in das Leben und die Liebe stürzt. „Al Berto“ durchleuchtet das Innenleben der Gemeinschaft und verweist auf den Konflikt mit den alteingesessenen Bewohnern und deren antiquierten Ansichten.

Webseite: www.pro-fun.de

Portugal 2017
Regie & Drehbuch: Vicente Alves do Ó
Darsteller: Ricardo Teixeira, José Pimentão, Raquel Rocha Vieira, José Leite, Gabriela Barros, João Villas-Boas
Länge: 109 Minuten
Kinostart: 13. September 2018
Verleih:  Pro-Fun Media

FILMKRITIK:

Portugal, Sommer 1975: Die Zeit der autoritären Diktatur ist nach über 40 Jahren vorüber. Nach Jahren der Unterdrückung und Gewalt, feiern die Menschen die neugewonnene Freiheit. Der junge Autor Al Berto (Ricardo Teixeira) verkörpert das Lebensgefühl einer gesamten portugiesischen Generation. Diese spannende Phase in der Geschichte des Landes erlebt Al Berto in einer kleinen Stadt am Meer, in der er sich mit Gleichgesinnten zusammenschließt. Nachdem er sich in einen jungen Mann (José Pimentão) verliebt hat, erkennt er, dass Liebe auch mit Schmerz verbunden sein kann. Seine Erfahrungen verarbeitet er in seinen Gedichten und Büchern.

„Al Berto“ widmet sich einer kurzen, aber prägenden Phase im Leben des Dichters, der 1997 im Alter von 49 Jahren an Krebs verstarb. Al Berto gilt als einer der bedeutendsten Poeten seines Landes und feierte in den 80er-Jahren seine größten Erfolge. Das erste Buch des Surrealisten erschien 1977, danach folgten vor allem Lyrikbände. Für den Drehbuchautor und Regisseur Vicente Alves do Ó ist „Al Berto“ die erste Kinoproduktion seit seinem Film „Florbela“, einer Biographie über die Schriftstellerin Floreba Espanca.

Alves do Ós Biopic führt mitten hinein in eine Zeit des Umbruchs und Aufbruchs, die gerade die (jungen) Künstler im Land nutzen wollen, um ihre Träume zu leben. Dazu gehört auch, sich ganz den künstlerischen Neigungen hinzugeben. Deshalb gründet Al Berto in der malerischen 13 000-Seelen-Stadt Sines eine Kommune. In der örtlichen Künstlerszene stößt er auf eine ganze Reihe interessanter, tiefgründiger Charaktere, die einen großen Reiz des Films ausmachen. Darunter zum Beispiel Sarah, die von Raquel Rocha Vieira facettenreich verkörpert wird. Sie ist Teil des Kollektivs, träumt von einer Karriere als Schriftstellerin und hat(te) – so deuten es einige kurze Szenen an – vermutlich eine intimere Beziehung zu Al Berto als nur eine rein freundschaftliche.

Doch sie leidet darunter, dass ihre dem Arbeitermilieu zugehörige Familie nichts mit ihren künstlerischen Ambitionen anfangen kann. An ihrem Beispiel zeigt Alves do Ó den Konflikt zwischen Traditionen und Moderne auf. Heißt hier: Die Kontroversen zwischen den Einheimischen des Dorfs und den jungen, vor Aufbruchsstimmung strotzenden Kunstschaffenden, die eine andere Idee vom Leben haben. Unterschiedliche Vorstellungen von Arbeit, Familie und Sexualität prallen auf radikale Weise aufeinander. Dass der Film all das herausstellt und  nicht nur die rauschhaft-ausschweifenden Partys zeigt, ist wichtig. Besonders deutlich wird dies auch noch in einer sehr emotional geführten Diskussion zwischen Al Berto und dem Vater seines Liebhabers João Maria (José Pimentão), wenn dieser den Künstlern ihren dekadenten Lebensstil vorwirft.

Die Beziehung zwischen João Maria und Al Berto steht dennoch im Zentrum des Films. Ihre Gefühle füreinander wirken stets echt und nie aufgesetzt. Gerade die freizügigen und intimen Momente (von denen es im Film so einige gibt) sind durchzogen von Leidenschaft und authentisch dargestellter Lust – ein Verdienst der beiden Darsteller Ricardo Teixeira und José Pimentão, die sich voll und ganz auf ihre Rollen und die komplexen Gefühlswelten ihrer Figuren einlassen. Nur hinsichtlich seiner Ausstattung und den Kostümen vermittelt der Film nicht immer das Gefühl von Realismus. Statt in den 70er-Jahren, könnte der Film – rein optisch betrachtet – auch in der Gegenwart spielen. Hier fehlt es an der glaubhaften Vermittlung des vorherrschenden Zeitgeists, den man an den Requisiten und Kulissen wunderbar hätte aufzeigen können.

Björn Schneider