Alki Alki

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Wer die Vielfalt des deutschen Kinos in Frage stellt, hat oft einfach nicht richtig hingeschaut. Denn abseits von Kinderfilmen und Brachialkomödien entstehen oft kleine, feine Filme, für wenig bis gar kein Geld gedreht, die zugegebenermaßen oft sehr krude wirken, aber oft auch vielschichtige Geschichten mit interessanten Charakteren erzählen. So ein Film ist die Alkoholiker-Ballade „Alki Alki“ von Axel Ranisch.

Webseite: www.missingfilms.de

Deutschland 2015
Regie: Axel Ranisch
Buch: Peter Trabner, Heiko Pinkowski, Axel Ranisch
Darsteller: Heiko Pinkowski, Peter Trabner, Christina Große, Thorsten Merten, Oliver Korittke, Eva Bay, Iris Berben
Länge: 102 Minuten
Verleih: missingfilms
Kinostart: 12. November 2015
 

FILMKRITIK:

Von einer Erfolgsgeschichte zu sprechen fällt angesichts von Besucherzahlen zwischen 600 und 10.000 ein bisschen schwer, doch mit seinem inzwischen vierten Film „Alki Alki“ hat sich Axel Ranisch als Regisseur schräger, melancholischer Filme etabliert. Mit „Dicke Mädchen“ gab er sein Debüt, es folgten der ungleich erfolgreichere „Ich fühl mich Disco“ und der Märchenfilm „Reuber“, in denen Ranisch Figuren porträtierte, die gemeinhin als Außenseiter gelten und im meist auf Hochglanz bedachten Filmgeschäft kaum repräsentiert sind.
 
So ein Typ ist auch Tobias Zach (Heiko Pinkowski, einer von Ranischs Stammschauspielern, der auch am Drehbuch mitschrieb), ein minder erfolgreicher Architekt, der mit Frau und drei Kindern in Berlin lebt und eine schwere Last mit sich rumträgt: Sein ständiger Begleiter ist Flasche (Peter Trabner, ebenfalls eine Ranisch-Institution und ebenfalls am Drehbuch beteiligt), sein je nach Sichtweise guter oder böser Geist, sein Gewissen, seine Sucht. Flasche ist immer dabei, egal ob im Büro bei einer Besprechung, im Bett mit seiner Frau Anika (Christina Große) oder in den Bars und Clubs Berlins, in denen Tobias seiner Alkoholsucht nachgeht.
 
Immer tiefer versackt der beleibte Mann, immer extremer werden die Exzesse, immer mehr stößt er Frau, seinen Kollegen und die Kinder vor den Kopf, bis er schließlich einwilligt, einen Entzug zu machen. In einer Klinik trifft er auf andere Süchtige, die alle ihren eigenen, für andere unsichtbaren Begleiter haben und mehr oder weniger erfolgreich gegen ihre Sucht kämpfen.
 
Es dauert einen Moment, bis man begreift, dass Flasche zwar anwesend, aber doch nur für Tobias sichtbar ist, doch dann beginnt das Konzept immer besser zu funktionieren. Einen Moment dauert es auch, bis man sich an die oft etwas krude Machart eines Films gewöhnt hat, der zwar nicht komplett außerhalb der Fördersysteme entstanden ist (Das kleine Fernsehspiel des ZDF ist Co-Produzent), der aber doch augenscheinlich für ein winziges Budget entstand. Nicht unbedingt amateurhaft wirkt das, aber doch auf eine einfache, unmittelbare Weise gefilmt, die angesichts des glatten Looks der allermeisten zeitgenössischen Filme ungewöhnlich wirkt.
 
In liebevoller Handarbeit hergestellt könnte man sagen, augenscheinlich zum Teil bei den Beteiligten zu Hause gedreht, in Nebenrollen mit Freunden und Kollegen besetzt – Pinkowskis Kinder etwa spielen auch im Film seine Kinder, Regiekollegen wie Sven Taddicken und Dietrich Brüggemann haben kurze Auftritte – entwickelt „Alki Alki“ auf Dauer einige Qualität. Nicht durch Schauwerte oder andere Oberflächenreize überzeugt die melancholische Geschichte, sondern durch den authentisch wirkenden Verlauf einer Sucht, die Abstürze und Besserungsversuche, die Selbstverleugnung und zunehmend verzweifelten Bemühungen, sich von der Sucht zu befreien. Mit viel Sensibilität ist dieser Gang inszeniert und gespielt, oft schonungslos extrem dargestellt und doch voller Sympathie für den tragischen Helden. Großes Kino mag „Alki Alki“ nicht sein, aber er hat etwas, das man auch nicht mit einem großen Budget kaufen kann: Herz und Verstand.
 
Michael Meyns