Alle anderen

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Ein Sommerurlaub in einem idyllischen Ferienhaus stellt die noch junge Beziehung eines gegensätzlichen Paares schon bald auf eine harte Probe. Filmemacherin Maren Ade („Der Wald vor lauter Bäumen“) beleuchtet in ihrem preisgekrönten Berlinale-Beitrag das Gemeinsame und Trennende einer scheinbar modernen Beziehung, in der sich beide Partner einer trügerischen Illusion hingeben. In den Hauptrollen brillieren die mit einem „Silbernen Bären“ ausgezeichnete Birgit Minichmayr und ihr Kollege Lars Eidinger.

Webseite: www.alle-anderen.de

Deutschland 2008
Regie, Produktion & Drehbuch: Maren Ade
Mit Birgit Minichmayr, Lars Eidinger, Hans-Jochen Wagner, Nicole Marischka
Laufzeit: 119 Minuten
Kinostart: 18.6.2009
Verleih: Prokino

PRESSESTIMMEN:

...nicht bloß ein packender und oft peinigend realistischer Film, der sich nach Auskunft der Regisseurin lose am Vorbild von Ingmar Bergmans "Szenen einer Ehe" orientiert, sondern er ist vor allem ein aufschlussreiches, of auch lustiges soziologisches Dokument: als klug beobachtete Bestandsaufnahme des Liebeslebens der Um-die-30-Jährigen am Ende der Zweitausendnuller-Jahre.
Der Spiegel

FILMKRITIK:

Die alte Floskel, wonach Gegensätze sich anziehen, trifft auch auf Gitti (Birgit Minichmayr) und Chris (Lars Eidinger) zu. Beide Anfang 30, sie eine quirlige, selbstbewusste Frau, er ungefähr im selben Alter und dabei doch oftmals in sich gekehrt, melancholisch, zweifelnd an sich, seiner Männlichkeit und seinen Fähigkeiten als Architekt. Sie sind noch nicht lange ein Paar, als sie beschließen, im Ferienhaus von Chris’ Eltern auf Sardinien ihren ersten gemeinsamen Sommerurlaub zu verbringen. Dort möchten sie einige unbeschwerte Wochen verleben. Tatsächlich schleichen sich schon bald erste Misstöne in das junge Liebesglück ein. Unerfüllte Sehnsüchte und subtile Machtspiele belasten das Miteinander, was sich zunächst aber weder Gitti noch Chris eingestehen wollen. Als Chris jedoch einen alten Studienkollegen (Hans-Jochen Wagner) trifft, der im Gegensatz zu ihm mit sich und seiner Arbeit vollkommen im Reinen zu sein scheint, melden sich nicht nur bei ihm erste Zweifel an. Plötzlich glaubt auch Gitti, das sie sich für Chris ändern muss.

Fünf Jahre nach „Der Wald vor lauter Bäumen“ meldet sich Filmemacherin Maren Ade mit einer unglaublich genau beobachteten Liebesgeschichte zurück. „Alle Anderen“, der auf der diesjährigen Berlinale den „Großen Preis der Jury“ erhielt, lenkt bereits mit dem Titel die Aufmerksamkeit auf den entscheidenden Stolperstein in Gittis und Chris’ Beziehung. Als Paar vergleicht man sich zwangsläufig mit anderen Paaren und erliegt dabei nur zu leicht der Illusion, dass deren Miteinander weitaus harmonischer, unkomplizierter und liebevoller verläuft. Aber auch das Gegenteil, dass man nie so werden will wie alle anderen, kann für eine Beziehung zur Belastung werden. Gitti und Chris versuchen den Spagat. Zwar wollen sie mit den alten, eigentlich längst ausrangierten Rollenbildern brechen, in bestimmten Situationen fallen sie dann jedoch exakt in diese Verhaltensmuster zurück. So glaubt Gitti, sie müsse sich anpassen und zu ihrem Freund voller Bewunderung aufschauen.

Mit jeder Einstellung, jedem Dialog und jeder Geste seziert Maren Ade das junge Glück, dessen Risse erst nach und nach sichtbar werden. Der Versuch, diese Bruchstellen so gut es geht zu kitten, löst in Chris und Gitti nur noch mehr Unbehagen aus. Auf einmal ist sie weg, diese kindlich-naive Unbekümmertheit, die beide zu Beginn des Films fast schon demonstrativ zur Schau stellen und die Ade in herrlich banale Dialoge verpackt. Viel zu schnell, so hat es den Anschein, müssen sie in ihrer Beziehung erwachsen werden, Verantwortung übernehmen und (über-)fällige Entscheidungen treffen. 

Schenkt man den Aussagen der beiden Hauptdarsteller Glauben, so hatten sie nur wenig Raum zu improvisieren, was die Qualität von Ades Drehbuch nochmals unterstreicht. Die Authentizität der Personen wird von den mitunter phrasenhaften Dialogen zwar ironisch gebrochen, der hohe Wiedererkennungswert vieler Aussagen, die man so oder so ähnlich aus eigener Erfahrung nur zu gut kennt, lässt einen allerdings nie an der Plausibilität einer Situation zweifeln. Eher entlockt uns Ade hierüber ein wissendes Schmunzeln, was aus „Alle Anderen“ trotz seines ernsten Themas das Gegenteil eines schwermütigen, humorlosen Films macht.

Sogar der Schauplatz inmitten einer mediterranen Ferienidylle scheint klug gewählt. Was zunächst als Flucht oder Auszeit vor dem Daheim gedeutet werden kann, endet in einem mit verkitschten Nippes zugestellten Zimmer von Chris’ Mutter, wo die Grönemeyer-CD praktisch zum Inventar gehört. Plötzlich ist auch auf Sardinien die Heimat ganz nah. Dass ausgerechnet nach einem gemeinsamen Urlaub viele Beziehungen auseinander gehen, ist sicherlich kein Zufall. Spätestens nach „Alle Anderen“ weiß man auch, warum das so ist. Die Abgeschiedenheit und Isolation wirken wie ein Verstärker.

Birgit Minichmayr, die für ihre Darstellung der Gitti mit dem „Silbernen Bären“ ausgezeichnet wurde, und Lars Eidinger verkörpern ihre jeweiligen Rollen derart authentisch, dass der fiktionale Charakter bisweilen in Vergessenheit gerät. Ihr Spiel ist glaubhaft, nuanciert aber nie übertrieben dramatisch. Obwohl beide vom Theater kommen, vermeiden sie allzu dramatische Gesten und Posen, die in Ades kleiner, intimer Geschichte auch absolut Fehl am Platz wären. So passt schlussendlich alles zusammen. Die Schauspieler, der Film, die Inszenierung, der Anfang und das Ende. Nur in Bezug auf Gitti und Chris mag man zu einem anderen Urteil kommen.

Marcus Wessel

 

Chris und Gitti verbringen im Haus von Chris’ Eltern einen Urlaub auf Sardinien. Chris ist Architekt, Gitti managt Veranstaltungen.

Die beiden reden viel, tasten sich mental ab, lieben sich, wandern, empfangen den Besuch von Hans und Sana, führen wieder Gespräche, werden aneinander fast irre, streiten sich, schlafen wieder leidenschaftlich miteinander.

Chris ist verschlossen, bedenkt alles oft und viel, scheut Entscheidungen, zieht bei einem Architektenwettbewerb den kürzeren, bestätigt nie wirklich die Liebe zu Gitti, sucht auch oft das Alleinsein, irritiert damit seine Lebensgefährtin.

Gitti ist direkt, offen, liebebedürftig, anhänglich, entscheidungsfreudig, das schlüssige und finale Gespräch suchend, um ihre Liebe zu Chris bangend, bereit, sich für ihn zu ändern.

Beim Besuch von Hans und Sana kommen diese Unterschiede, die Gereiztheit, das Eindringen Fremder in die heikle Atmosphäre zwischen Gitti und Chris voll zum Ausdruck.

An Handlung gibt es in diesem Film nicht viel. Aber er ist psychologisch und charakterspezifisch interessant, realistisch und in vielem wahrhaftig. Er trifft voll das Dilemma des Zusammenlebens zwischen den Menschen im Allgemeinen und zwischen den Geschlechtern im Besonderen.

Bei der Berlinale gab es dieses Jahr für die Autorin und Regisseurin Maren Ade zu Recht den „Großen Preis der Jury“.

Und noch etwas gab es: einen Silbernen Bären für die „Beste Darstellerin“ Birgit Minichmayr. Sie spielt alle Nuancen ihres Gemütszustandes von größter Leidenschaft und Freude bis zur äußersten Verzweiflung und Wut voll aus. Darüber soll aber die Leistung von Lars Eidinger als Chris nicht vergessen werden. Er bietet seiner Partnerin künstlerisch durchaus Paroli.

Thomas Engel