Allein

Drama, Deutschland 2004, 88 Min.
Regie und Drehbuch: Thomas Durchschlag
Kamera: Michael Wiesweg
Musik: Maciej Sledziecki
Darsteller: Lavinia Wilson, Maximilian Brückner, Richy Müller, Victoria Mayer
Verleih: Zorro Film Verleih/ Filmwelt
Kinostart: 28. Juli 2005

Behutsam und melodramatisch erzählt Thomas Durchschlag in seinem Spiel-filmdebüt  die Geschichte einer jungen Frau, die ihre innere Leere mit Drogen,  flüchtigen Affären und mit selbst zugefügten Schmerzen zu vergessen sucht. Dank der brillanten Hauptdarstellerin Lavina Wilson gerät eine allzu vorherseh-bare Geschichte zu einer Charakterstudie, die den Zuschauer in ein Wechsel-bad der Gefühle stürzt.

Noch ist die Welt heiter. Die junge Studentin Maria schläft in einen sonnigen Tag hin-ein, und die leeren Wodkaflaschen, die sich neben ihrem Bett häufen, lassen noch nicht ahnen, dass hier die Geschichte einer Selbstdestruktion erzählt wird. Maria auf dem Weg zur Uni, Maria in der Disco, beim Tanzen, Trinken und Flirten. Dann eine nächtliche Fahrt in einem Cabriolet, ausgelassen, verführerisch. Die Bilder des an-schließenden One-Night-Stands sind distanz-, aber emotionslos – so wie die beiden Körper, die hier gefilmt werden, sich zwar berühren, aber keine innere Beziehung zueinander eingehen. Dann sieht man, wie Marie nach Hause flieht. Als sie im Bade-zimmer in den Spiegel schaut, wirkt ihr Gesicht um Jahre gealtert. Die Kamera schwenkt auf eine Rasierklinge, eine geballte Faust und das Blut, das in das Wasch-becken tropft. Danach versucht die junge Frau den Schmerz und die Einsamkeit mit Tabletten und Alkohol zu betäuben. Bonjour tristesse!

Wie die Geschichte weitergeht, ist allzu vorausschaubar. Maria lernt den schüchter-nen Jan (Maximilian Brückner) kennen, und wenn die beiden sich zum ersten Mal berühren, hat das nichts Rauschhaftes mehr. Maria sieht in dieser Szene zum ersten Mal „berührt“ aus, so „berührt“ wie auf religiösen Darstellungen des Mittelalters die Gesichter jener Menschen, zu denen ein Engel mit einer Botschaft gekommen ist. Doch um dieses Glück zu bewahren, versucht Maria ihre Abhängigkeit und ihre inne-re Leere vor dem anderen zu verheimlichen. Jetzt gewinnt die Geschichte an Drama-tik, aber eine Liebes- wird aus dieser Krankengeschichte nicht mehr werden, denn allzu starke Gefühle – das zeigt „Allein“ auf beeindruckende Weise – können zu einer Mauer werden, an denen sich eine Seele wund reibt.

Die Stärke des Films besteht in der gegensätzlichen Inszenierung von Oberflächlich-keit und der emotionalen Abgründigkeit seiner Hauptfigur, für die Psychiater den Begriff „Borderline-Syndrom“ parat haben. Mit einer beeindruckenden schauspieleri-schen Präsenz wandelt Lavina Wilson in der Rolle von Maria zwischen diesen beiden Extremen. Von einer Sekunde zur anderen wechselt ihre Mimik von einer unbe-schwerten jugendlichen Leichtigkeit zu einer maskenhaften Starre, Geborgenheit schlägt hier abrupt in Misstrauen, Freundlichkeit in blinde Wut um. Für diese schau-spielerische tour de force wurde Wilson zu recht auf den letzten Hofer Filmtagen ausgezeichnet.

Der 30-jährige Regisseur Thomas Durchschlag, Absolvent der Kunsthochschule für Medien in Köln, reduziert die Geschichte auf das Notwendigste, was den Verlauf frei-lich etwas vorhersehbar macht, verzichtet auf psychologisierende Erklärungen und konzentriert sich dafür ganz auf eine schnörkellose Charakterstudie. Auch die Musik von Maciej Sledziecki, die manchmal an die melancholischen Kompositionen von Eric Satie erinnert, ist in ihren dissonanten Klangfarben das Spiegelbild einer Seele, die aus der Balance geraten ist.

Ralph Winkle