Alphabet

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Nach „We feed the World“ und „Let‘s make Money“ schließt der Österreicher Erwin Wagenhofer mit „Alphabet“ seine Trilogie über die Krise der modernen Gesellschaft ab. Vordergründig geht es um Bildung und die Frage, was Schule und Ausbildung aus unseren Kindern machen. Aber Wagenhofers Film geht weit über die übliche Diskussion um Schülerstress und Leistungsdruck hinaus. Er sieht in Bildung den Schlüssel zu einer anderen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, in der nicht mehr Konkurrenz und Leistung, sondern Kreativität und Freude am Lernen im Mittelpunkt stehen.

Webseite: www.alphabet-film.com

Österreich/Deutschland 2013
Regie: Erwin Wagenhofer
Assistenz: Sabine Kriechbaum
Länge: 109 Minuten
Verleih: Pandora Film
Kinostart: 31. Oktober 2013

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Finnland geht aus den PISA-Tests der OECD immer wieder als Meisterschüler in Europa hervor, aber Bildungs-Weltmeister ist unangefochten China. Hier erreichen die Schüler regelmäßig Spitzenwerte. Genauso hoch ist allerdings die Selbstmordrate unter Schülern. Wie irrsinnig der Leistungsdruck ist, zeigt Wagenhofer sehr nachdrücklich: Während die Oma stolz Diploma und Medaillen für gewonnene Mathe-Olympiaden in die Kamera hält, sitzt ihr Enkel traurig, müde und apathisch daneben. Der extreme Konkurrenz- und Leistungsdruck für Schüler in China steht symptomatisch für eine weltweite Lernkultur, die Wagenhofer infrage stellt. Auch in Deutschland klagen Schüler über wachsenden Erfolgsdruck und schwindende Freizeit. Noch immer entlässt die Schule wie im 19. Jahrhundert Schüler, die sich in einen Produktionsprozess einfügen sollen, ohne ihn zu hinterfragen. Seine Suche nach der Zukunft der Bildung führt Wagenhofer in das Malstudio des Pädagogen Arno Stern, er begleitet den Spanier Pablo Pineda, der trotz Down-Syndroms einen Universitätsabschluss schaffte. Und er lässt bekannte und radikale Forscher ausführlich zu Wort kommen, unter ihnen der Bildungsexperte Sir Ken Robinson und der Hirnforscher Gerald Hüther.

Nein, Erwin Wagenhofer will mit seinem Film nicht herausfinden, ob nun die Gesamtschule oder das Gymnasium die bessere Schulform ist. Sein Film beteiligt sich zwar an aktuellen Diskussionen rund um Bildung, aber er transzendiert sie. Bildung ist hier Symptom für unsere Gesellschaft, so wie es Nahrung in „We feed the World“ und das Wirtschaftssystem in „Let‘s make Money“ waren. Mit „Alphabet“ greift Wagenhofer Themen der beiden Vorgängerfilme noch einmal auf und bündelt sie. Entstanden ist so das deprimierende Bild einer Gesellschaft, die unfähig scheint, aus ihren Fehlen zu lernen, und die wider besseres Wissen die falschen Prioritäten setzt.

Gleichzeitig scheint in „Alphabet“ aber auch so konsequent wie in keinem der anderen beiden Filme die Möglichkeit einer anderen Welt auf. Gerade an den Rissen der überdehnten heutigen Gesellschaft wird eine offenere, freiere sichtbar, die nicht mehr durch Konzepte der Angst und Konkurrenz zusammengehalten wird. Aus einer Betrachtung von Bildungssystemen, die unsere Gesellschaft repräsentieren, wird bei Wagenhofer ein philosophischer Diskurs darüber, wohin wir uns als Spezies entwickeln müssen, damit wir glücklich leben können. Damit wird er bei der derzeitig herrschenden Ratlosigkeit, nicht nur im Hinblick auf das Thema Schule, und dem Verständigen auf kurzfristigen Aktionismus und den kleinsten gemeinsamen Nenner, anecken. Aber Wagenhofers Film macht Mut, auch und vor allem durch die vielen inspirierenden Aussagen seiner Protagonisten. So beschließt „Alphabet“ mit einem Zitat von Ken Robinson, das auf Benjamin Franklin zurückgeht: „Es gibt drei Arten von Menschen. Solche, die unbeweglich sind. Solche, die beweglich sind und solche, die sich bewegen. Ich ermutige Sie, sich zu bewegen und einen Schritt vorwärts zu tun.“

Oliver Kaever