Am Ende kommen Touristen

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Die Berliner Schule hat einen neuen Stern. Schon in seinem Abschlussfilm NETTO erzählte Robert Thalheim mit beachtlicher Souveränität und genauer Personenzeichnung eine kleine, hochaktuelle Geschichte von Arbeitslosigkeit und Vatersein in Berlin. Auch in AM ENDE KOMMEN TOURISTEN geht es wieder um ein Stückchen deutscher Befindlichkeit. Sven macht seinen Zivildienst in Polen in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz - eine komplexe Angelegenheit. Tagsüber wird Sven nolens-volens mit der Erinnerung an den Holocaust konfrontiert, in seiner Freizeit erlebt er mit der Reiseführerin Ania polnische Gegenwart. Und überall nimmt er als Deutscher eine Sonderstellung ein. In nicht einmal 90 unaufgeregten Minuten gelingt es Thalheim, die Vielschichtigkeit der Situation sensibel einzufangen.

Webseite: www.amendekommentouristen.de

Buch + Regie: Robert Thalheim
Kamera: Yosliwa Gärtig
Produzenten: Britta Knöller, Hans-Christian Schmid
Ton + Musik: Anton K. Feist, Uwe Bossenz
Darsteller: Alexander Fehling, Ryszard Ronczewski, Barbara Wysocka, Piotr Rogucki
Länge: 85 min
Verleih: X Verleih/Vermietung über Warner
Kinostart: 16. August 2007

PRESSESTIMMEN:

 

Bewegend, humorvoll - und ohne besserwisserische Botschaft. Das macht diesen stillen kleinen Film so bemerkenswert.
Brigitte

Pressestimmen auf film-zeit.de hier...

FILMKRITIK:

Sven macht Zivi im Ausland. Ursprünglich war Amsterdam geplant gewesen, jetzt hat es ihn in die polnische Stadt Oswiecim, zu Deutsch Auschwitz verschlagen. In der dortigen Begegnungs- und Gedenkstätte macht er Hausmeisterjobs, kümmert sich um Seminare und betreut den über 80-jährigen Überlebenden Krzeminski, der unweit des ehemaligen Konzentrationslagers wohnt. Ohne besonders viel Enthusiasmus aber guten Willens macht Sven sich daran, sich in der neuen Welt zu Recht zu finden. Oder vielmehr in den drei neuen Welten. Der ungewohnte Arbeitsalltag, das Leben als Deutscher in einer polnischen Kleinstadt und der tägliche Umgang mit einem Überlebenden von Auschwitz stellen jeweils eigene Anforderungen. Überall lauern Untiefen und Fragen mit denen sich Sven noch nie beschäftigt hat. Wie z.B. soll/kann/darf er als Deutscher auf den knappen Kommandoton Krzeminskis reagieren?

Mit einer guten Portion Stoizismus erledigt Sven die ihm gestellten Aufgaben, die von Geschirrspülen bis zu Chauffeurdiensten für den alten Krzeminski reichen. Ganz langsam, fast unmerklich, beginnt dabei eine Verbindung zu dem ungewöhnlichen Ort und seinen Menschen zu wachsen.  Sven ärgert sich, verliebt sich, ergreift Partei und fängt an, sich wirklich für seine Umgebung zu interessieren.

Das alles geht ohne große Gefühle ab. Thalheim erzählt betont unaufgeregt, mit einem Gespür für Zwischentöne und einem scharfen Ohr für geschliffen ungeschliffene Dialoge. Ein erster Kuss hat bei ihm nicht mehr Gewicht als der erste Blick durch das kleine graue Zimmer, dass Svens Heimat für die nächsten 12 Monate sein soll, eher weniger. Besonders viel Zeit nimmt sich der Regisseur der selbst seinen „Zivilersatzdienst“ in Auschwitz geleistet hat, für Krzeminski, den einzigen Zeitzeugen. Vom schwierigen Alten, der zur Krankengymnastik gezwungen werden muss, wird Kreziminski für Sven langsam zu einem Bekannten, dessen Geschichte und Motive er verstehen lernt, und mit dem er sich schließlich solidarisiert. Übersolidarisiert, würde seine polnische Freundin Ania vielleicht sagen.

Damit stellt sich AM ENDE KOMMEN TOURISTEN bewusst gegen die aktuelle Welle von
Historiengroßfilmen wie DER UNTERGANG oder DAS LEBEN DER ANDEREN. Anstatt Vergangenheit in autoritären Bildern zu fixieren, sucht Thalheim nach den Spuren und sichtbaren Folgen der Geschichte in der Gegenwart und stellt die Frage, wie sich die dritte und vierte Generation der Erinnerung an den Holocaust und Nationalsozialismus nähern kann. Einer Erinnerung, die nicht mehr die eigene ist. Nach einem ernüchternden Zeitzeugengespräch mit den deutschen Azubis des nahe gelegenen  Chemiewerks stellt Krzeminski deprimiert fest: „Nächstes Mal zeigt Ihnen einfach SCHINDLERS LISTE, das hätte sie mehr beeindruckt.“

Bei aller Ernsthaftigkeit der Gedanken – Thalheim kommt fast ohne Didaktik aus. AM ENDE KOMMEN TOURISTEN ist ein wacher, lebendiger Film mit einem Sinn fürs Detail. Sei es der Galgenhumor der ehemaligen Häftlinge: „Frag ihn mal, ob sein Vater auch schon hier gearbeitet hat.“ oder der schleppende Spracherwerb Svens.

Hendrike Bake

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Auschwitz. Ein Name, der als Symbol des Schreckens und des Verbrechens nie mehr vergehen wird. Dorthin kommt der junge Deutsche Sven. Er soll in der Jugendbegegnungsstätte seinen Zivildienst ableisten. Ausgesucht hat er sich den Ort allerdings nicht. 

Es fällt ihm als Angehöriger einer Nachkriegsgeneration anfänglich schwer, die Begegnung mit dem gegenwärtigen wie mit dem vergangenen Auschwitz zu vollziehen. Da ist zuerst einmal das verständliche Ressentiment der Polen gegen die Deutschen, das allerdings nicht nur mit Auschwitz zu tun hat. Dann das Dilemma: einerseits der Ort des Gedenkens an eines der schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, andererseits das Ziel von Busladungen lärmender Touristen in kurzen Hosen, Sandalen und mit Fotoapparaten bewaffnet. Also: Am Ende kommen Touristen.

Sven macht Hausarbeit, hat sich um den früheren Häftling Krzeminski zu kümmern, der nach der Befreiung in unmittelbarer Nähe des Lagers blieb und jetzt Flüchtlingskoffer nicht konserviert, sondern fälschlicherweise repariert. Der junge Deutsche ist auch bei der historischen Aufklärung von Lehrlingen des nahen (deutschen) Chemiewerks dabei, und außerdem verliebt er sich in die Polin Ania, Dolmetscherin für Besucher, deren Bruder Krzysztof Sven seine Abneigung gegen alles Deutsche deutlich spüren lässt.

Krzeminski ist auch eher abweisend und wortkarg. Bei einer Gedenkfeier wird seine Ansprache von einer Sprecherin des Chemiewerkes einfach abgeschnitten. Er erkennt, dass seine Zeit abläuft.

Ania ist zwar in Auschwitz aufgewachsen, für sie, die junge Frau, sind jedoch Lager und Stadt zwei völlig getrennte Dinge. Sie will fort. 

Sven wird sich entscheiden müssen, ob er sich diesen komplizierten Übergangsbedingungen in seinem Leben stellt, ob er um Ania kämpfen wird ebenfalls – oder ob er aufgibt. 

Ein nüchternes, fiktives, doch zum Teil auch aus eigener Erfahrung des Autors und Regisseurs Robert Thalheim erlangtes Bild der notwenigen Verbindung zwischen einer verhängnisvollen Vergangenheit und dem heutigen Leben. Dabei muss immer die Balance gelten zwischen dem Respekt vor dem Geschehenen und dem jetzigen Umgang mit diesem. Das ist wohl auch die Essenz dieses eher brav erzählten Films, der dieses Jahr für die Cannes-Reihe „Un certain regard“ ausgesucht wurde – und bei dem sicherlich das Thema noch mehr in den Vordergrund tritt als insgesamt die künstlerische Form.

Alexander Fehling (Sven), Ryszard Ronczewski (Krzeminski), Barbara Wysocka (Ania) und Piotr Rogucki (Krzysztof) meistern ihre Rollen ausgezeichnet, vor allem Fehling und Ronczewski. 

Ein ernsthaftes, auf vier Personen und Charaktere übertragenes Zeitbild von Auschwitz, seiner Vergangenheit wie seiner Gegenwart.

Thomas Engel