Anni felici – Barfuss durchs Leben

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Zum dritten Mal erzählt der italienische Filmemacher Daniele Luchetti nun eine Familiengeschichte – nach „Mein Bruder ist ein Einzelkind“ und dem Cannes-Wettbewerbsbeitrag „La Nostra Vita“ von 2010 ist es nun seine eigene. Luchetti erzählt von seiner Kindheit im Rom der Siebziger zwischen freiem Künstlertum und bürgerlicher Enge. In einer Nebenrolle ist Martina Gedeck als Verführerin zu sehen.

Webseite: www.annifelici-derfilm.de

Italien 2013
Regie: Daniele Luchetti
Buch: Sandro Petraglia, Stefano Rulli, Caterina Venturini, Daniele Luchetti
Darsteller: Micaela Ramazotti, Kim Rossi Stuart, Martina Gedeck, Samuel Garofalo, Niccolò Calvagna
Kamera: Claudio Collepiccolo
Länge: 100 Minuteb
Verleih: Camino Filmverleih
Kinostart: 27. August 2015
 

FILMKRITIK:

Rom, 1974: Serena (Micaela Ramazotti) und Guido (Kim Rossi Stuart) lieben sich – und sie hassen sich auch. Guido möchte gern als freier Avantgarde-Künstler leben, unabhängig, wild, frei von Konventionen. Er verachtet die bürgerlichen Werte, für die seine Frau Serena eintritt, nimmt aber doch gern die Annehmlichkeiten ihrer Welt in Anspruch. Während Guido auf seiner Suche nach künstlerischer Verwirklichung nur langsam vorankommt, öffnet sich Serena überraschend schnell einer Affäre mit Guidos Agentin Helke (Martina Gedeck). Unter dem Rosenkrieg der beiden leiden vor allem ihre Kinder, die beiden Jungen Dario (Samuel Garofalo) und Paolo (Niccolò Calvagna). Hilflos werden sie Zeugen von Liebesentzug, leidenschaftlichem Streit und erneuter Versöhnung.
 
„Es waren schöne Jahre – schade, dass wir das damals nicht gemerkt haben“, sagt der Erzähler am Ende des Films. Es ist dieses bittersüße Gefühl einer schrecklichen und gleichzeitig schönen Kindheit, das „Anni Felici“ vor allem beschwört. Daniele Luchetti erzählt seine eigene Geschichte, aber, wie er im Presseheft schreibt, bei der Arbeit an seinem Film hätten die Figuren ein Eigenleben entwickelt. „Anni Felici“ ist keine mit dem Abstand von vielen Jahren zurechtgelegte Interpretation und erst recht keine Verurteilung seiner Eltern. Vielmehr spiegeln sich Luchettis verschiedene, widersprüchliche Erfahrungen ineinander, und der Regisseur verliert im Lauf des Films die Deutungshoheit, die er über die Ereignisse eigentlich gern hätte. Stilistisch spiegelt sich das in der Stimme des Erzählers, diejenige des Regisseurs also, die anfangs das Geschehen zu erklären scheint, im Verlauf aber ihre Verwirrung angesichts der Wiederbegegnung mit der Vergangenheit zugeben muss.
 
Das ist ein brillanter Regie-Einfall, wie „Anni Felici“ überhaupt wunderschön anzusehen ist. Luchetti drehte den Film teilweise mit der Super-8-Kamera, die er selbst als Kind geschenkt bekam. Er nutzte außerdem 16mm und 35mm-Film mit ihrer außergewöhnlichen Farbwärme und erreicht mit diesem analogen Material nicht nur leuchtende Bilder einer untergegangenen Zeit, sondern auch eine Hommage an das Material Film selbst. Im Presseheft schreibt er: „Mir wurde klar, wie viel Sensibilität, Farbtiefe und Zauber verloren gehen, wenn die Wahl zwischen verschiedenen Filmvarianten nicht mehr möglich ist.“
 
Ein Denkmal setzt Luchetti auch einer Zeit, die auf der Suche nach neuen Lebensformen war. Auch deshalb opfert er keine seiner Figuren, gibt keine der Lächerlichkeit preis. Er zeigt unglaublichen Egoismus und gar seelische Gewalt, lässt aber keine Sekunde einen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Protagonisten in ihrem Versuch, das richtige Leben zu leben. Die starken Darsteller lassen dieses Gefühl des Neuen, das sich beständig am Alten reibt und Wunden verursacht, sehr deutlich werden. Brillant Martina Gedeck als matronenhafte und doch sinnliche Verführerin, die für die Freiheit steht. „Anni Felici“ ist ein durch und durch aufrichtiger Film, in all seiner Freude und seinem Schmerz. Ein echter europäischer Autorenfilm, den es glücklicherweise eben doch immer noch gibt.
 
Oliver Kaever