Archipelago

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In ihrem unterkühlten Drama „Archipelago“ seziert die britische Regisseurin Joanna Hogg die Neurosen der wohlsituierten oberen Mittelschicht, die Hogg als kaum zu ertragende Gruppe von Menschen schildert, die zwischen Snobismus und Selbstmitleid changieren. Höchst zurückhaltend gefilmt, auf vielfältige Weise komplex, bisweilen aber fast schon zu vage und unbestimmt, ist „Archipelago“ ein schwieriges, aber sehenswertes Stück Arthouse-Kino.

Webseite: www.fugu-films.de

Großbritannien 2010
Regie, Buch: Joanna Hogg
Darsteller: Christopher Baker, Kate Fahy, Tom Hiddleston, Lydia Leonard, Amy Lloyd, Mike Pender
Länge: 114 Minuten
Verleih: fugu Filmverleih
Kinostart: Mai 2012

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Ein Hubschrauber bringt Edward (Tom Hiddleston) auf das titelgebende Archipel, genauer gesagt Tresco, eine zu den Scilly Inseln gehörende Insel, vor der englischen Südwestküste gelegen und auf Grund der klimatischen Bedingungen landschaftlich höchst vielfältig: Sowohl Palmen als auch Moor finden sich hier und natürlich ist diese Vielfalt kein Zufall. Wie überhaupt wenig bis nichts in Joanna Hoggs Film zufällig und ohne Hintergedanken gewählt ist: Jeder Monolog, jedes Bild trägt mehrere Bedeutungen in sich, soll über die vordergründige Bedeutung noch subtile Metaphern über den Zustand und den Zerfall der Familie transportieren, die hier seziert wird.

Sie besteht aus vier Personen: Edward, ein höchst idealistischer Endzwanziger, der die Welt retten will und zu diesem Zweck bald nach Afrika aufbricht, um die Afrikaner vor AIDS zu bewahren. Seine etwa gleichaltrige Schwester Cynthia (Lydia Leonard) wirkt schon leicht verhärmt und generell unzufrieden mit sich und der Welt im allgemeinen, wobei man nicht erfährt wieso und weshalb. Ihre Mutter Patricia (Kate Fahy) übt sich als Landschaftsmalerin und zeigt nur gelegentlich ihre Aversion gegen den abwesenden Mann und Vater Will. Dieser tritt nie persönlich in Erscheinung, regelmäßige Telefonate sind sein einziger Beitrag zu dem als Familienausflug geplanten Urlaub in einem edlen Cottage, doch selbst in Abwesenheit ist er ständig präsent. Zu dieser eigentlichen Familie kommen zwei Außenstehende: Der Maler Christopher (Christopher Baker), der Patricia in die Geheimnisse der Landschaftsmalerei einführt und metaphernreich darüber sinniert, wie manchmal Farben, auch wenn sie gar nicht selbst zu sehen sind, durch benachbarte Farben abgedeutet werden. Und schließlich die Köchin Rose (Amy Lloyd), die die Dynamik der Familie durchbricht und deren Snobismus heraufbeschwört.

Einige Tage beschreibt der Film, Tage, in denen fast nichts passiert, die anfangs von einer kaum zu ertragenden Oberflächlichkeit geprägt sind, in denen mit ausgesuchtem Oxford-Akzent Konversation betrieben wird, vor allem aber jegliche Emotion unter der Oberfläche verborgen wird. Je länger die Familie jedoch zusammen ist, sich mit Spaziergängen, Picknicks und Essen beschäftigt, desto brüchiger wird die Oberfläche, bis der Frieden mehr und mehr einer zunehmend von Aversionen geprägten Stimmung weicht. Wirkliche Ursachen für diese grundlegende Unzufriedenheit mit dem Leben nennt der Film nicht, was einerseits banale Psychologisierung verhindert, andererseits bisweilen das Gefühl heraufbeschwört, wehleidigen, selbstmitleidigen Menschen beim grundlosen Jammern auf hohem Niveau zuzusehen.

Immer wieder schafft es Joanna Hogg in ihrem zweiten Spielfilm jedoch, subtile Momente zu erzeugen, mit feinem Gespür für Zwischentöne zu erzählen und die Dynamik einer Familie aufzuzeigen. Besonders die Figur des Edwards entwickelt dabei große Komplexität: hin- und hergerissen zwischen eigenen Ambitionen, dem Druck des offenbar sehr erfolgreichen, virilen Vaters, den Erwartungen seiner Umwelt, dem Gefühl der Nutzlosigkeit in einer Welt, in der er durch seine finanziell versorgte Herkunft für nichts kämpfen muss. Nicht nur hier gelingen Hogg prägnante Beobachtungen, die „Archipelago“ bei aller – fraglos auch angestrebten – Unerträglichkeit, zu einem sehenswerten, hellsichtigen Film machen.

Michael Meyns

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