Arrival

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Wenn Denis Villeneuve („Sicario“, „Prisoners“) einen vermeintlichen Alien-Invasions-Film dreht, dann sollte man besser keinen „Independence Day“ erwarten. Eigentlich könnte das meditative Science-Fiction-Drama kaum weiter von Emmerichs Popcorn-Kino entfernt sein. Getragen von virtuosen Bildern, einem hypnotischen Soundtrack und der Oscar-verdächtigen Amy Adams folgt „Arrival“ stattdessen seinem ganz eigenen, faszinierenden Rhythmus. Sieht so der „2001“ unserer Zeit aus?

Webseite: www.arrival-film.de

USA 2016
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Eris Heisserer nach der Kurgeschichte „Story of Your Life“ von Ted Chiang
Kamera: Bradford Young
Musik: Jóhann Jóhannsson
Darsteller: Amy Adams, Jeremy Renner, Forest Whitaker, Michael Stuhlbarg, Tzi Ma
Laufzeit: 116 Minuten
Kinostart: 24.11.2016
Verleih: Sony

Pressestimmen:

„Ein Meisterwerk – ‚Arrival‘ ist der beste Science-Fiction-Film seit langem.“
BERLINER ZEITUNG

FILMKRITIK:

Plötzlich – ohne Vorwarnung – sind sie da. 12 riesige, keilförmige Flugobjekte, über deren Herkunft anfangs nichts bekannt ist und die sich ohne erkennbares Muster über die gesamte Erde verteilen. Eines dieser unbekannten Objekte landete im ländlichen Montana, wo es seitdem von den Sicherheitsbehörden untersucht wird. Die Kontaktaufnahme mit den Aliens verläuft schleppend, so dass der mit Leitung beauftragte US-Colonel (Forest Whitaker) die erfahrene Sprachwissenschaftlerin Louise Banks (Amy Adams) zu den Untersuchungen hinzuzieht. Sie soll die seltsamen Laute der Ankömmlinge entschlüsseln und Antworten auf die drängendsten Fragen finden. Woher kommen sie? Und warum sind sie hier? Hilfe kommt dabei von ihrem Mathematiker-Kollegen Ian (Jeremy Renner), der den Einsatz kaum noch erwarten kann. Zunächst ist aber Geduld gefragt, öffnet sich die Luke in der Außenwand nur einmal innerhalb von 18 Stunden. Über eine Hebebühne gelangen Louise und Ian schließlich in das Innere des schwebenden Objekts. Dort wartet schon die nächste Überraschung auf sie.
 
Wie sich Hollywood die Begegnung mit außerirdischem Leben vorstellt, dürfte hinlänglich bekannt sein. Das Aufeinandertreffen endet wahlweise in einer aufwändigen Materialschlacht („Independence Day“), blutigen Duellen („Alien“) oder heillosem Chaos („Mars Attacks!“). Nichts von dem findet sich in Denis Villeneuves Science-Fiction-Meditation „Arrival“, der sich bloß geschickt als Alien-Film tarnt. In Wahrheit stehen bei ihm nämlich nicht die siebenfüßigen Neuankömmlinge – Heptapode genannt – im Mittelpunkt sondern wir Menschen. Die seltsamen Wesen mit ihrer eigenartigen Symbolsprache, die es für Amy Adams’ Hauptfigur zu dekodieren gilt, sind am Ende nur der Schlüssel zu einem viel größeren Rätsel. Dabei spannt Villeneuve einen Bogen vom großen Weltgeschehen und der globalen Diplomatie zum Leben jedes Einzelnen.
 
„Arrival“ ist zumindest in Teilen auch eine Neuinterpretation des scheinbar auserzählten Science-Fiction-Genres. Vergleiche zu „2001 – Odyssee im Weltraum“ und Tarkowskis „Solaris“ drängen sich förmlich auf und sind keinesfalls zu hoch gegriffen. Villeneuve übersetzt die Kurzgeschichte von Ted Chiang („Story of Your Life“) in einen brillanten formalen wie narrativen Kontext. Bereits die erste Fahrt in das Muschel genannte Objekt der Außerirdischen, bei dem die Kamera mal von oben, mal von unten und mal von der Seite die Wissenschaftler begleitet, liefert gänzlich neue Bilder und Eindrücke. Kameramann Bradford Young ist ein Meister seines Fachs. Er spielt auf engstem Raum mit Farbe, Kontrast und Licht und schafft gleichzeitig atemberaubende Totalen wie die erste Luftaufnahme des schwebenden Objekts, das plötzlich aus einer mit Nebel bedeckten Landschaft vor uns auftaucht. Nur selten wurde eine Steadycam effektiver und subtiler eingesetzt. Selbst wenn das Bild wie in der Anfangssequenz einmal statisch wirkt, so ist es doch in Bewegung. Der Effekt ist verblüffend.
 
Nicht weniger spannend verlaufen Kontaktaufnahme und Kommunikation mit den Heptapoden. Puzzleteil für Puzzleteil nähert sich „Arrival“ so einer Wendung, die vieles in ein neues Licht rückt, manches erklärt und dennoch Raum für eigene Interpretationen lässt. Sie ist mehr Katharsis als klassischer Plot-Twist und nicht nur für Amy Adams’ Charakter eine unerwartete Zäsur. Ihre Louise ist Herz und Seele des Films, den Adams trotz großartiger Kollegen wie Jeremy Renner, Forest Whitaker und Michael Stuhlbarg in eine One-Woman-Show verwandelt. Dass sie schon jetzt als Anwärter auf einen Oscar gehandelt wird, überrascht nicht.
 
Der weitgehende Verzicht auf Action und die übliche Dramaturgie eines Alien-Films mag „Arrival“ nicht vor gewissen Enttäuschungen schützen, zumal er vom Zuschauer doch mehr Beteiligung und Aufmerksamkeit einfordert. Villeneuve interessiert sich aber nur bedingt für Erwartungen. Nach „Prisoners“ und „Sicario“ wechselt er einmal mehr das Genre. Seine notorisch düstere Sichtweise weicht dieses Mal einem hoffnungsvollen Blick auf die Welt und unsere Spezies. Vor allem widmet er sich der Bedeutung von Sprache und Kommunikation und wie beides unser Denken bestimmt. „Arrival“ ist am Ende kein Film über Außerirdische oder UFOs. Es ist ein Film über uns. Genau das macht ihn so relevant und groß.
 
Marcus Wessel