Auge um Auge

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Für seinen neuen Film beleuchtete „Crazy Heart“-Regisseur Scott Copper das Arbeitermilieu im ländlichen Pennsylvania. Dort, in einer Kleinstadt, die wie ihre Einwohner schon bessere Tage gesehen hat, siedelte er seinen angenehm geradlinigen Thriller an, der ganz nebenbei als packendes, dicht erzähltes Familiendrama reüssiert. In „Auge um Auge“ spielen Christian Bale und Casey Affleck ein ungleiches Brüderpaar, das in Wettschulden und illegale Straßenkämpfe verwickelt wird. Unterstützt werden Bale und Affleck von einem überaus namhaften Cast – darunter die Oscar-Nominierten Sam Shepard und Woody Harrelson.

Webseite: www.tobis.de

OT: Out of the furnace
USA 2013
Regie: Scott Cooper
Drehbuch: Scott Cooper, Brad Ingelsby
Darsteller: Christian Bale, Casey Affleck, Woody Harrelson, Willem Dafoe, Sam Shepard, Zoe Saldana
Laufzeit: 116 Minuten
Verleih: Tobis
Kinostart: 3.4.2014

FILMKRITIK:

In Braddock, einer typischen Kleinstadt im Nordosten der USA, scheint harte, ehrliche Arbeit noch etwas zu zählen. Hier schuften die Männer im Stahlwerk, das der Stadt über Jahrzehnte eine Perspektive gab. Doch der Niedergang der amerikanischen Autoindustrie, die Finanzkrise und Billigkonkurrenz aus Asien haben auch an diesem beschaulichen Fleck einer stolzen Nation ihre Spuren hinterlassen. Für den Irak-Heimkehrer Rodney (Casey Affleck) steht daher fest, dass er nicht wie sein älterer Bruder Russell (Christian Bale) für ein eher bescheidenes Gehalt im Stahlwerk seine Gesundheit aufs Spiel setzen will. Auch um die Dinge vergessen zu können, die er im Krieg gesehen und erlebt hat, sucht er Ablenkung bei Sport- und Pferdewetten. Der erhoffte Gewinn bleibt jedoch aus. Stattdessen werden Rodneys Schulden beim örtlichen Buchmacher (Willem Dafoe) größer und größer. Kann sein Bruder diese zunächst noch für ihn begleichen, so lässt sich Rodney schon bald auf einen verhängnisvollen Deal ein.
 
Mit „Auge um Auge“ erzählt Regisseur Scott Cooper eine sehr amerikanische Familiengeschichte über zwei ungleiche und doch auf das Engste miteinander verbundene Brüder. Dazu passt der Schauplatz, Braddock, an dem der Niedergang der heimischen Wirtschaft, insbesondere der Schwerindustrie, unübersehbar ist. Hier leben einfache, bodenständige Menschen mit klaren Wertvorstellungen. Der Stellenwert der Familie ist ein anderer, zumal wenn wie bei Rodney und Russell die Mutter früh verstirbt und auch der Vater dem Tod ins Auge sehen muss.
 
Trotz seiner erst 43 Jahre ist Cooper ein Erzähler der alten Schule. Geboren und aufgewachsen im ebenfalls beschaulichen Virginia kennt er das Milieu, in dem sich Rodney und Russell bewegen. Und zu diesem passen nun mal keine Hochglanzbilder oder filmischen Tricks. Wie schon bei seinem Oscar-Erfolg „Crazy Heart“ wählte er den geraden Weg und ein eher gemächliches Tempo. Damit ist sein Stil dem eines Clint Eastwood nicht unähnlich. Dessen dunkles Thrillerdrama „Mystic River“ vertraute einst auf ganz ähnliche Tugenden.
 
Dabei lässt die bedrohliche Tonlage schon früh vermuten, welchen Verlauf die Handlung später einmal nehmen wird. Bereits die erste, grandios getimte Szene in einem Autokino endet in einem Ausbruch brutaler Gewalt. Sie zeigt, wie der skrupellose Bandenchef Harlan (Woody Harrelson) einen anderen Besucher ohne jedes Zögern zusammenschlägt. Später kreuzen sich Harlans und Rodneys Wege und in der Folge auch die von Harlan und Russell. Nicht nur in diesen Momenten spielt „Auge um Auge“ mit offenen Karten. Cooper verzichtete gänzlich auf überflüssige, weil zumeist unglaubwürdige Plottwists. Stattdessen steuert sein Film ohne jede Umwege auf seine namensgebende Konklusion zu. Folglich sind es auch nicht die rar gesäten Überraschungen sondern das scheinbar Unausweichliche, was an dieser Geschichte so fasziniert und aufwühlt.
 
Der karge Soundtrack, aus dem ein alter Pearl Jam-Song heraussticht, brodelt derweil im Hintergrund. Damit gehört die Bühne ganz den Schauspielern. Obwohl der wie immer völlig in seiner Rolle versunkene Christian Bale und sein Filmbruder Casey Affleck im Mittelpunkt stehen, fühlt sich „Auge um Auge“ zumeist wie ein Ensemblefilm an. Woody Harrelson gibt den durchaus als Karikatur angelegten Hillbilly, wobei sein Spiel mit dem eigenen Rüpel-Image immer wieder genüsslich durchscheint. Eine eher stille Präsenz übt dagegen Sam Shepard als Rodneys und Russells Onkel und väterlicher Begleiter aus. Mit dieser Rolle spiegelt er zugleich die ruhige, ehrliche und dunkle Seele von Coopers Film wider, der mit einfachen Mittel die maximale Wirkung erzielt. In seiner Ausleuchtung von ewigen Themen wie Gerechtigkeit, Vergeltung und Mut schickt er uns auf eine packende Reise in das Herz Amerikas.
 
Marcus Wessel