Aus dem Leben eines Schrottsammlers

Zum Vergrößern klicken

Er ist der berühmteste Filmemacher aus Bosnien und Herzegowina: Danis Tanoviæ. Dabei geht der Regisseur schon seit seinem mit dem Oscar prämierten Debüt „No Man‘s Land“ (2001) hart mit seiner Heimat ins Gericht. Natürlich spielt dabei vor allem der Balkankrieg eine Rolle, aus dem das Staatengebilde erst hervorging. Sein neuer Film spielt aber in der Gegenwart und prangert die soziale Ungleichheit und die Diskriminierung der Roma in Bosnien und Herzegowina an. „Aus dem Leben einen Schrottsammlers“ wurde bei der diesjährigen Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet.

Webseite: www.drei-freunde.de

Originaltitel: Epizoda u zivotu beraca zeljeza
Bosnien und Herzegowina/Frankreich/Slowenien/Italien 2013
Buch und Regie: Danis Tanoviæ
Darsteller: Nazif Mujiæ, Senada Alimanoviæ, Sandra Mujiæ, Šemsa Mujiæ
Länge: 74 Minuten
Verleih: drei-freunde Filmverleih
Kinostart: 10. Oktober 2013

PRESSESTIMMEN:

"Ein großartiges Dokudrama."
Der Tagesspiegel

FILMKRITIK:

Nazif lebt mit seiner Frau Senada und zwei Mädchen in einem abgelegenen Dorf. Mehr schlecht als recht ernährt er seine Familie, indem er Schrott sammelt und mit seinen Brüdern Autowracks zerlegt. Die Verhältnisse sind prekär. Als Senada, die mit ihrem dritten Kind schwanger ist, unter akuten Bauchschmerzen leidet, gerät die Familie in echte Bedrängnis. Denn Senada muss dringend operiert werden. Weil sie aber nicht versichert ist, wird sie von der Klinik abgelehnt und nach Hause geschickt. Für Nazif beginnt ein Spießrutenlauf von Krankenhäusern zu Hilfsorganisationen, um seiner Frau zu helfen. Und weil er die Rechnung nicht bezahlen kann, wird im Haus auch noch der Strom abgestellt.

Danis Tanoviæ lernte sein Handwerk als Filmemacher an der Front, als seine Heimatstadt Sarajevo zum Kriegsschauplatz wurde, bevor er später in Belgien Film studierte. Wie er selbst im Presseheft schreibt, bedeutet „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ eine Rückkehr zu diesen Wurzeln. Der Film ist ein Hybrid aus Doku und Fiktion. Die Geschichte las Tanoviæ 2011 in der Zeitung. Er beschloss, sie zu verfilmen, und zwar mit den echten Akteuren in den Hauptrollen. Nach anfänglichem Zögern sagte die Familie zu, und Tanoviæ stellte die Geschehnisse nach ihren Erinnerungen nach. In seinen wildesten Träumen hat sich Nazif Mujiæ damals wohl nicht augemalt, dass er bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären als Bester Darsteller ausgezeichnet würde.

Das formale Konzept von Tanoviæ ist nicht ohne Fallstricke. Denn eine betonte Kunstlosigkeit kann sich auch ungewollt als selbstzweckhaft in den Mittelpunkt drängen, der Film dann gar als ausbeutung sozialer Missstände erscheinen. Aber Tanoviæ umschifft diese Untiefen souverän mit einer direkten Inszenierung, die zwar dokumentarische Mittel einsetzt, ihre Wurzeln in der Fiktion aber ebenso betont. Die große Stärke des Film ist es, die Geschichte sich entwickeln zu lassen, ohne sie künstlich zu verschärfen.

Meist beobachtet Tanoviæ, und allein dieses insistierende Beobachten verdichtet das Geschehen. So wird eine lange Sequenz zur Metapher für die Mühsal in Nazifs und Senadas Leben: Da klettert Nazif im Schnee eine Müllkippe hinunter, sammelt einen verrosteten Bürostuhl und einige Sprungfedern auf und macht sich mit dieser mageren Ausbeute auf den deprimierend kräftezehrenden Weg zurück nach oben. Einzig das warmehrzige Miteinander der Dorfgemeinschaft, das gegenseitige Aushelfen, macht die Situation überhaupt erträglich. Eine Solidarität, die dem Rest der Gesellschaft, so sagt Tanoviæ, völlig abhanden gekommen ist.

Wirklich groß wird „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ durch sein Ende, das dem Elend zum Trotz das Glück der menschlichen Wärme zeigt und sich so endgültig von dem Verdacht freimacht, hier schlachte jemand bei allen guten Vorsätzen eine soziale Schieflage nur aus. Der Film wird so zu einem Beispiel der starken Kinos aus Osteuropas, das die Berlinale 2013 dominierte.

Oliver Kaever