In vielerlei Hinsicht ist „Bab Aziz“, der neue Film des tunesischen Regisseurs Nacer Khemir, eine Geschichte aus 1001 Nacht. In eindrucksvollen Bildern erzählt er vom alten, blinden Derwisch Bab Aziz, der zusammen mit seiner Enkelin durch die Wüste wandert. Sie begegnen anderen Suchenden, Geschichten werden erzählt, die sich auf wundersame Weise überschneiden und lassen das Bild einer Gesellschaft entstehen, die tief mit den Mythen ihrer Vergangenheit verbunden ist.
Webseite: www.kairosfilm.de
Tunesien 2005
Regie: Nacer Khemir
Buch: Nacer Khemir, Tonino Guerra
Darsteller: Parviz Shaminkhou, Maryam Hamid, Hossein Panahi, Mohamed Graiaa, Nessim Khaloul
98 Minuten, Format: 1:1,85
Verleih: Kairos
Kinostart: ?
PRESSESTIMMEN:
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FILMKRITIK:
Ein Sandsturm tobt durch die Wüste. Ein junges Mädchen befreit sich von den sie bedeckenden Dünen, dann ein alter Mann. Es ist fast eine Auferstehung mit der „Bab Aziz“ beginnt. Das Verhältnis von Mensch und Natur wird eines der Hauptelemente des folgenden Films sein. Der alte Mann ist Bab Aziz, ein alter, blinder Derwisch, der zusammen mit seiner Enkelin Ishtar, auf dem Weg zu einem Derwisch-Treffen ist. Nur alle 30 Jahre findet es an einem Ort statt, den nur derjenige findet, dessen Herz rein ist und in den weiten der Wüste den Weg zu seinem Ziel quasi erhören kann. Um ihr die Zeit zu vertreiben beginnt Bab Aziz seiner Enkelin eine Geschichte zu erzählen. Sie handelt von einem Prinzen, der eines Tages aus seinem Zelt in die Wüste trat und eine Gazelle sah. Auf seinem Pferd folgt er ihr und scheint verschwunden. Ohne Reiter kommt das Pferd zum Zelt zurück und die Diener des Prinzen machen sich auf die Suche nach ihrem Herrn. Sie finden ihn an einem Wasserloch, an dem der Prinz gedankenverloren sitzt und sein Spiegelbild betrachtet. Nichts und niemand scheint ihn aus seiner inneren Versunkenheit aufwecken zu können.
Immer wieder unterbricht Bab Aziz seine Erzählung, spannt er seine Enkelin auf die Folter, so wie die berühmte Scheherazade in den Erzählungen aus 1001 Nacht ihre Hinrichtung durchs Geschichtenerzählen immer wieder aufschob. Um Leben und Tod geht es hier zwar nicht unmittelbar, doch die Bedeutung der mündlich überlieferten Geschichten für die arabische Welt zieht sich durch den Film. Denn auch die anderen Personen, denen Bab Aziz und Ishtar in der Wüste begegnen, haben eigene Geschichten zu erzählen. Da geht es um die Sehnsucht nach einem unerreichbaren Mädchen oder um die Verführung einer angebeteten Frau, episodenhaft erzählt und oft nicht beendet. Und all das in einer Welt, die weitestgehend unbestimmt bleibt, in einer fast zeitlosen Realität spielt. Die Kleidung der Figuren ist größtenteils traditionell, nur manchmal sieht man eine moderne Jeans oder einen Rucksack. Und auch die Orte, die Oasen, die Karawansereien, die Souks, an denen Bab Aziz bzw. die Figuren in den Geschichten vorbeikommen, schweben irgendwo zwischen Tradition und Moderne.
Bemerkenswert ist nun, was Nacer Khemirs Film alles nicht ist. Weder ein nostalgischer Blick auf eine vorgeblich bessere Welt, die von modernen Entwicklungen verdrängt wurde, noch ein kitschiger, orientalistischer Blick auf bunte Trachten und für den westlichen Touristen exotisch wirkende Traditionen. Besonders letzteres ist erstaunlich, ist der Film doch eine weitestgehend europäische Produktion, die nicht zuletzt für den internationalen Markt des „Weltkinos“ produziert wurde. Doch offenbar hat es Khemir verstanden sich aus dem Westen das zu nehmen, was er brauchte, um eine im besten Sinne typisch arabische Geschichte zu erzählen, deren Mentalität nie in Frage steht.
Michael Meyns