Babai

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Es geht zwar um eine Flucht vom Kosovo der 90er Jahre nach Deutschland, doch "Babai", der Debütfilm des selbst aus dem Kosovo stammenden Visar Morina, erzählt auf harsche, unsentimentale Weise eine universelle Geschichte, die sich auf die ein oder andere Weise in diesen Tagen wohl hundertfach abspielt. Ein harter, aber starker, eindrucksvoller Film.
 
Webseite: www.missingfilms.de

Kosovo, Deutschland 2015
Regie, Buch: Visar Morina
Darsteller: Val Maloku, Astrit Kabashi, Adriana Matoshi, Enver Petrovci, Xhevedet Jashari, Armend Ismajli, Arijeta Ajeti, Alban Ukaj
Länge: 104 Minuten
Verleih: missingFILMs
Kinostart: 10. März 2016
 

FILMKRITIK:

Anfang der 90er Jahre im Kosovo, ein Krieg ist vorbei, der nächste nur eine Frage der Zeit, die Situation auf den Straßen der Hauptstadt Pristina angespannt. Mit dem Verkauf von Zigaretten hält sich Gesim über Wasser, sein gut zehnjähriger Sohn Nori hilft ihm. Wo die Mutter ist, bleibt ebenso offen wie das meiste andere, nur bruchstückhaft wird die Situation von Vater und Sohn deutlich. Zwei Dinge sind jedoch vom ersten Moment an klar: Eine Zukunft gibt es im Land nicht, aber Nori wird seinen Vater nicht einfach gehen lassen.

Fast grotesk, vor allem aber verzweifelt mutet es an, wenn der Vater im Fluchtauto sitzt, an der Grenze aufgehalten wird und der Beamte im Kofferraum Nori findet, der mitkommen wollte. Schließlich wirft sich der Junge gar vor einen Bus, mit dem sein Vater das Land verlassen will. Als er im Krankenhaus aufwacht, ist es dann doch passiert: Der Vater ist in Deutschland, Nori bleibt zurück und muss beim Onkel leben, sich in das patriachalische Familiengefüge des Kosovo fügen. Es ist eine harsche Welt, voller Misstrauen, konservativer Strukturen, in denen das Recht des Stärkeren gilt. Auch wenn er erst zehn Jahre alt ist, agiert Nori dementsprechend: Er bestiehlt seinen Onkel und macht sich alleine auf den Weg nach Deutschland, wird zwischendurch von einer Frau bestohlen, der er sich anvertraut hat, meistert schließlich jedoch Menschenschmuggler, Hunger und die Balkanroute, alles nur, um zu seinem Vater zurückzufinden, der ihn nicht wollte und der doch das Einzige ist, was er hat.

In seinem harschen, ungeschönten Blick auf die Welt lässt "Babai" unweigerlich an die sozialrealistischen Filme der belgischen Dardenne-Brüder denken, zumal auch Visar Morina ein Kind in den Mittelpunkt stellt, dass in fast jedem Moment des Films zu sehen ist. Und auch der Ton ist ähnlich, betont unsentimental, ganz realistisch wird eine Welt gezeigt, die so sehr von Bürgerkriegen, ethnischen Konflikten und schierer Armut geprägt ist, dass Mitmenschlichkeit ein zunehmendes Fremdwort geworden ist. Auch ein Kind zu bestehlen ist da nichts Ungewöhnliches mehr, ebenso wenig wie ein Kind, dass zu mehr oder weniger kriminellen Methoden greift, um sein Ziel zu erreichen.

Dass Morina es schafft, eine sehr spezielle Geschichte zu erzählen, die aber in den Details unbestimmt genug bleibt, um universelle Qualität zu erreichen, macht "Babai" zu einem so zeitgemäßen Film. Gerade im Mittelteil, wenn Noris Flucht aus dem Kosovo nach Deutschland geschildert wird, er sich über genau jene Balkanroute in den gelobten, verklärten Westen macht, die momentan zehntausende Flüchtlinge gehen, bekommt "Babai" einen geradezu dokumentarischen Touch. So realistisch, so konsequent bleibt der Film aber auch im Anschluss, dass er das kurz skizzierte Leben von Nori und seinem Vater in Deutschland, in alles andere als rosigen Zügen zeigt. Die Folgen der deutschen Bürokratie werden angedeutet, das Leben in Flüchtlingsheimen, aber auch hier die fehlende Solidarität. Schön ist das nicht zu beobachten, doch gerade angesichts der Intensität und der schonungslosen Konsequenz des Blicks ein überaus eindrucksvoller Film.
 
Michael Meyns