Barney’s Version

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Sympathieträger stellt man sich gemeinhin anders vor. Mittsechziger Barney ist zynisch, eigensinnig, manchmal sogar verletzend und dem Alkohol nie abgeneigt. Und obwohl das so ist, schließt man ihn früher oder später in sein Herz. Ein Paul Giamatti in Bestform ist nur einer von gleich mehreren Garanten dieses intimen, tragikomischen Zeit- und Personenportraits, das mit bissigem, schwarzem Humor und einer ebenso anrührenden wie inspirierenden Liebesgeschichte aufwartet.

Webseite: www.barneysversion-film.de

Barney’s Version
USA 2010
Regie: Richard J. Lewis
Drehbuch: Michael Konyves nach dem Roman „Wie Barney es sieht“ von Mordecai Richler
Darsteller: Paul Giamatti, Rosamund Pike, Dustin Hoffman, Minnie Driver, Scott Speedman, Rachelle Lefevre
Laufzeit: 134 Minuten
Verleih: UPI
Kinostart: 14.7.2011

PRESSESTIMMEN:

Angelehnt an den gleichnamigen Roman von Mordecai Richler rekapituliert Regisseur Richard J. Lewis in ausgedehnten Rückblenden die sentimentale bis tragikomische Biografie eines Kotzbrockens und Nonkonformisten: Paul Giamatti spielt ihn bravourös, genauso wie Dustin Hoffman Barneys Vater.
Der Spiegel

FILMKRITIK:

Es ist ein Leben, das normal und ungewöhnlich zugleich ist, das von Momenten des reinen Glücks und einer herzzerreißenden Einsamkeit ausgefüllt wird, von Liebe und von Leid. Fernsehproduzent Barney Panofsky (Paul Giamatti) erscheint auf den ersten Blick alle Vorurteile an einen zynischen, verbitterten, alten Kauz erfüllen zu wollen. Mit seinen Kindern pflegt er einen zumeist rauen Umgangston und auch gegenüber seinen Angestellten nimmt er wahrlich kein Blatt vor den Mund – selbst wenn das, was er zu sagen hat, seinen Gesprächspartner verletzten könnte. Barney hat viel erlebt und um zu verstehen, wie er zu dem Menschen geworden ist, der er nun mit fast 70 ist, muss man mit ihm zurück in seine Vergangenheit reisen.

„Barney’ s Version“ entwickelt sich auf diesem Weg zu einem intimen und emotional zugleich unglaublich gewaltigen Film. Vom Italien der frühen siebziger Jahre und der Nach-Hippie-Ära, über Montreal bis in das New York der Gegenwart verläuft der Handlungsbogen, aus dem sich Barneys tragikomische Erinnerungen und Anekdoten zusammensetzen. Drei Ehen und zumindest eine ganz große Liebe füllten sein bewegtes Leben aus, zu dem auch das mysteriöse Verschwinden seines einst besten Freundes (Scott Speedman) gehörte. Noch heute gilt er für den seinerzeit ermittelnden Polizeibeamten als der Hauptverdächtige. Barney, ein potentieller Mörder? Es ist nicht zuletzt dieser ungeheuerliche Vorwurf, den der zynische Lebemann mit seiner Version der Ereignisse entkräften will.

Es sind vor allem der bissige, jüdische Witz und Barneys gutes Herz, an dem trotz aller von ihm durchaus gepflegten Misanthropie nie ein Zweifel besteht, die auch in der Verfilmung des berühmten Romans des kanadischen Schriftstellers Mordecai Richler Ton und Stimmung vorgeben. Obwohl Barney seine Mitmenschen nicht immer fair behandelt, obwohl er ganz offensichtlich zu viel trinkt und flucht, kann er sich unserer Sympathien stets gewiss sein. Der Grund dafür ist einfach. Nicht nur mag ein jeder sich zu einem kleinen Teil in ihm wiedererkennen, mag in ihm eigene Fehler und Schwächen entdecken, Barney, so wie er von Giamatti verstanden wird, ist kein Unmensch sondern am Ende seines Leben eher ein Unzufriedener, der auf der Suche nach seinem inneren Frieden ist.

Wir dürfen ihn bei dieser keineswegs leichten Suche begleiten. Dabei lernen wir alte Weggefährten, Freunde, Geliebte und Familienmitglieder kennen. Seinen durchaus eigenwilligen Vater Izzy (Dustin Hoffman) zum Beispiel, dessen unkonventionelle Ratschläge von seinem Sohnemann nicht immer befolgt werden. Oder Barneys erste große Liebe Clara (Rachelle Lefevre), die in seinem Herz für lange Zeit eine gewaltige Lücke hinterlassen hat. Warum Paul Giamatti für diese schon aufgrund ihres anspruchsvollen Zeithorizonts außergewöhnliche Rolle keine Oscar-Nominierung erhielt – nur das Make-up-Team wurde seinerzeit berücksichtigt –, dürfte auf ewig das Geheimnis der Academy bleiben. Giamatti scheint zunächst den misanthropischen Comiczeichner Harvey Pekar aus „American Splendor“ zu reaktivieren, später dann entwickelt sich sein Barney mehr und mehr zu einem Allen-Charakter, dem man bei jedem Blick, jeder Geste Giamattis tief in seine verletzliche Seele zu schauen glaubt.

Giamattis Kollegen – darunter Oscar-Preisträger Dustin Hoffman und die großartige Rosamund Pike als Barneys wahre Liebe Miriam – veredeln schließlich diesen schauspielerisch außergewöhnlichen Film, bei dem Regisseur Richard J. Lewis jederzeit ganz genau wusste, wie er all diese Vorgaben und Zutaten am besten zusammenführen sollte. Er erschuf ein sensibles Charakterstück, das souverän zwischen von Leonard-Cohen-Songs untermalter Sentimentalität und Sarkasmus navigiert. Einen liebenswerteren Selbstzerstörer als Barney wird das Kino so schnell nicht mehr hervorbringen.

Marcus Wessel

Zugrunde liegt Mordecai Richlers erfolgreicher Roman „Wie Barney es sieht“ (Barney’s Version), ein literarisches Werk des Kanadiers, von dem anzunehmen war, dass es nicht gerade leicht zu verfilmen sein würde. Und doch ist es gelungen – mehr als nur gelungen.

Barney und sein Freund, der erfolglose Schriftsteller Boogie, sind betrunken, albern herum, streiten auch. Eine Pistole ist mit im Spiel, Schreckschüsse fallen. Plötzlich ist Boogie verschwunden. Eine Leiche wird zwar nicht gefunden, Barney aber von Constable O’Hare verdächtigt, den Freund ermordet zu haben. Dieser O’Hare ist es auch, der später ein „Enthüllungsbuch“ über den Fall veröffentlicht, ein Grund dafür, dass Barney in einer eigenen Version, eben „Barney’s Version“, die Sache darstellt.

Barney Panofsky ist eine Type für sich: gutherzig aber auch spitzbübisch, liebeshungrig aber auch unzuverlässig, witzig aber auch verletzend, an sich selbst zweifelnd und öfter betrunken als nüchtern, geschäftstüchtig jedoch manchmal kaum zu ertragen.

Seine überaus erfolgreiche TV-Produktionsfirma trägt symptomatischerweise den Namen „Völlig unnötige Produktionen“.

Drei Ehen: Die erste während der mit Freunden und Künstlern verbrachten Zeit in Rom. Clara nimmt es aber mit der Treue nicht sehr genau – bringt sich außerdem um. Die zweite mit einer „höheren Tochter“ aus gut angesehenem und gut betuchtem jüdischem Hause. Doch noch während der Hochzeit verliebt Barney sich unsterblich in Miriam. Er betet sie an, wirbt jahrelang vergeblich um sie. Dann endlich willigt sie ein. Himmel und Hölle macht diese Ehe durch. Bis auch Miriam geht. Gegen Ende seines Lebens wird Barney von der Demenz heimgesucht.

Ein Spitzenroman und ein geglückter Film. Was dieser Barney an Schönem und Schlimmem durchmacht und seinen Mitmenschen zumutet, geht auf keine Kuhhaut. Lebendig, komisch und traurig kommt das alles zum Ausdruck. Jahrelang haben die Filmemacher darauf hingearbeitet. Aber jetzt passt es: die Regie, die Örtlichkeiten, die Milieus, wunderbar ausgebaute Szenen wie das Fest bei Barneys zweiter Hochzeit.

Es musste ein Schauspieler gefunden werden, der dieser facettenreichen Figur Leben einhaucht, den verschiedenen Lebensphasen Echtheit zu verleihen imstande ist, der Glück und Schmerz in gleichem Maße beherrscht. Man hat ihn gefunden: Wie der charismatische Paul Giamatti das hinkriegt, das muss ihm erst einmal einer nachmachen.

In einer köstlichen Rolle mit dabei Dustin Hoffman. Er ist Barneys Vater Izzy Panofsky. Auch die Frauen stellen ihre Rollen sehr treffend dar: außergewöhnlich gut Rosamund Pike als Miriam, dann Minnie Driver als 2. Mrs. Panofsky und Rachelle Lefevre als Clara. Genauso gut Scott Speedman als Boogie sowie Bruce Greenwood als Miriams zweiter Mann Blair.

Thomas Engel