Beau is Afraid

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Film als Psychotherapie. Wobei nach den drei Stunden von „Beau is Afraid“ nicht ganz klar ist, ob die von Joaquin Phoenix gespielte Hauptfigur, Regisseur Ari Aster oder der von einem überbordenden, oft wahnwitzigen, absurden, manchmal auch enervierenden Exzess erschlagene Zuschauer es ist, der Therapie benötigt. So oder so einer der ungewöhnlichsten Filme des Jahres.

USA 2023
Regie & Buch: Ari Aster
Darsteller: Joaquin Phoenix, Nathan Lane, Amy Ryan, Stephen McKinley Henderson, Hayley Squires, Denis Ménochet

Länge: 179 Minuten
Verleih: Leonine
Kinostart: 11. Mai 2023

FILMKRITIK:

Beau (Joaquin Phoenix) ist Mitte 40 und lebt allein in einer namenlosen Stadt, die einem Irrenhaus gleicht: Manische Personen bevölkern die Straßen, komplett tätowierte Wahnsinnige jagen ihn, ein nackter Perverser treibt sein Unwesen, in Beaus Haus befindet sich ein Sexshop namens Ejectus Erectus.

Dass Beau viel Zeit bei seinem Therapeuten verbringt liegt auf der Hand, die Ursache scheint nicht zuletzt seine Mutter Mona (Patti LuPone), die ihn selbst während der Therapiestunde anruft. Zum Todestag des Vaters will Beau nach Hause fliegen, doch mehr als bizarre Umstände halten ihn von der Reise ab. Als er am nächsten Tag seine Mutter anrufen will, teilt ihm ein UPS-Mann, dass seine Mutter von einem Kronleuchter erschlagen wurde.

Eine ausufernde Odyssee nach Hause beginnt, auf deren Weg Beau nach einem schweren Unfall von einem wahnsinnig netten Paar (Nathan Lane und Amy Ryan), das sich bald als durch und durch wahnsinnig herausstellt, mehr oder weniger gepflegt wird, bevor er von einem Veteranen mit PTBS verfolgt wird, in einen Wald gerät, wo er einer Theatertruppe begegnet, die sich die Waisen des Waldes nennen, um schließlich einer Inkarnation seines Vaters begegnet, der in Form von überdimensionierten Testikeln auftaucht. Uff.

Als „jüdische Version von Lord of the Rings“ will Ari Aster seinen nach „Hereditary“ und „Midsommar“ dritten Film verstanden wissen, nach dessen Vorpremiere er gefragt wurde: „Ist bei Dir alles Okay?“ Eine Frage, die nach den drei Stunden von „Beau is Afraid“ durchaus Berechtigung hat, denn wenn man davon ausgeht, dass Aster in diesem Film, den er seit zehn Jahren realisieren wollte, auch nur im entferntesten Persönliches verarbeitet hat, dann würde man zu gerne wissen, was seine Mutter und sein Therapeut von diesem surrealen Exzess halten.

Begannen Asters vorherige Filme ruhig, im Fall von „Midsommar“ in strahlendem, bukolischen Sommerlicht, stürzt er sich in „Beau is Afraid“ sofort in eine wahnwitzige Welt. Die allerdings kaum mehr zu sein scheint, als eine übersteigerte Version der Gegenwart, voll mit selbstbezogenen Menschen, die ihr Handy nie aus der Hand legen und im Zweifelsfall lieber eine Pille schlucken, als ihre Probleme wirklich zu analysieren.

Dass Beau in der ersten Szene des Films von seinem Therapeuten ein neues Medikament verschrieben bekommt legt den Schluss Nahe, dass es sich bei Asters Film um einen Blick in die Psyche eines zutiefst neurotischen Menschen handelt, der mit schwersten Kindheitstraumata zu kämpfen hat. Von einer manipulativen, egozentrischen Mutter geplagt, mit Pillen ruhiggestellt, vom tatsächlichen oder doch nur angeblichen Tod des Vaters traumatisiert: Dieser Beau trägt Variationen des Ballast mit sich, der das zeitgenössische Amerika mit all seinen Absurditäten und Exzessen oft wie einen Fall für die Klapsmühle erscheinen lässt.

Am Ende der drei ausufernden Stunden von „Beau is Afraid“ darf man keine klaren Antworten erwarten, auch wenn sich die Handlung – wenn man es so nennen will – durchaus als Weg von Geburt zum Tod verstehen lässt. Andererseits entziehen sich viele Sequenzen einer deutlichen Lesart und erwecken eher den Eindruck von Rorschach-Motiven: Bildern, deren Interpretation mehr über den jeweiligen Zuschauer aussagen, als über den Regisseur und seine Intentionen.

Auch wenn man diese offene Struktur ein wenig unbefriedigend finden mag: Ari Aster hat mit „Beau is Afraid“ viel gewagt und seinen wohl persönlichsten Film gedreht. Einfach macht er es sich und seinem Publikum mit diesem Film nicht, bemerkenswert ist diese dreistündige Therapiesitzung jedoch in jedem Fall.

 

Michael Meyns