Als letzter Roman eines langen Schriftstellerlebens veröffentlichte Thomas Mann kurz vor seinem Tod „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“, der schnell auch als verklausulierte, fiktive Autobiographie wahrgenommen wurde. Diesen Ansatz bemüht der Regisseur André Schäfer in seinem essayistisch-inszenierten Dokumentarfilm „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“, der seinem steilen Titel nur in Ansätzen gerecht wird.
Deutschland 2024
Regie: André Schäfer
Dokumentarfilm
Länge: 91 Minuten
Verleih: mindzazz pictures
Kinostart: 7. November 2024
FILMKRITIK:
Viel Zeit und Papier hat die Thomas Mann-Forschung seit dem Tod des vielleicht berühmtesten, wichtigsten deutschen Schriftstellers des 20. Jahrhunderts mit der Frage gefüllt, wo und wie sich der 1954 verstorbene Autor in seinem Werk selbst porträtiert hat. Besonders die Frage, wie der eigentlich eher zu Männern hingezogene Autor, der eine den gesellschaftlichen Normen seiner Zeit entsprechende Ehe führte und mehrere Kinder zeugte, homosexuelle Figuren als autobiographische Skizze anlegte.
Vor allem die Novelle „Der Tod in Venedig“ bot hier ausgiebig Material, selbst die Person, die für Thomas Mann als Vorbild für den jungen, von der literarischen Hauptfigur begehrten Tadzio diente, meinten Forscher auszumachen. Und auch der Schelmenroman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ wurde als wahre Fundgrube autobiographischer Hinweise wahrgenommen, zumal Mann seit 1905 die Idee hegte, eine Version von Goethes Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ zu schreiben, von der er Anfang der 20er Jahre eine erste Version veröffentlichte und kurz vor seinem Tod eine revidierte Ausgabe, zumindest des ersten Teils.
Angesichts der durch die Zeitumstände notwendig erscheinenden Verheimlichung seiner homosexuellen Neigungen scheint es ein treffender Einfall zu sein, einen Film über Mann „Bekenntnisse des Hochstaplers Thomas Mann“ zu nennen, zumal der Begriff des Hochstaplers weniger negativ konnotiert scheint als es etwa „Betrüger“ wäre.
Was André Schäfer nun versucht, wirkt ebenso ambitioniert, wie spekulativ: Spuren von Thomas Mann im Roman Felix Krull zu suchen, einer narzisstischen, brillanten Figur, die in einer klassischen Verfilmung einst von Horst Buchholz gespielt wurde. Der ähnlich wie Thomas Mann ein Leben voller Fassaden und Täuschungen lebte, als Lebemann bekannt war und sich erst spät zu seiner Homosexualität bekannte, eine weitere Parallele, auf die Schäfer jedoch nicht eingeht.
Bei ihm spielt Sebastian Schneider einen jungen Mann, der irgendwo zwischen Krull und Mann angesiedelt scheint, sich allerdings auf provokante, übertrieben bunte Weise kleidet, die der distinguierte und stets um Eleganz bemühte Mann fraglos verabscheut hätte. Schneider wird nun in Situationen gezeigt, die sich teils auf den Roman, teils auf das Leben Manns beziehen, sitzt einem Maler Model, streift durch Los Angeles, die Exil-Heimat der Manns, und zitiert dabei vor allem Auszüge aus Thomas Manns Tagebüchern.
Ein loses Geflecht aus Spuren und Ideen entsteht, mal willkürlicher, mal pointierter, die von klassisch dokumentarischen Momenten ergänzt werden: Archivbilder aus dem Leben Thomas Manns und seiner Familie sind zu sehen, dazu Interviews mit manchen der Kinder, besonders der Historiker Golo Mann kommt zu Wort. Und deutet an, wie schwierig es für ihn und seine Geschwister gewesen sein muss, im Schatten einer so öffentlichen, komplexen Person wie Thomas Mann zu leben. Ob Mann das gleich zu einem Hochstapler machte sein dahingestellt, aber auf so eine konkrete Behauptung will Schäfer am Ende auch gar nicht hinaus. Er spielt ein leichtfüßiges, mal mehr, mal weniger pointiertes Spiel mit der Persona Manns, umkreist den Autor mehr, als dass er ihm wirklich nahekommt und belässt es am Ende beim Aufzeigen von Bezügen zwischen fiktiven und realen Figuren.
Michael Meyns