Ben X

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Inspiriert durch einen Zeitungsbericht über den Selbstmord eines autistischen 14jährigen, erzählt der beeindruckende Debut-Film des belgischen Journalisten Nic Balthazar die Leidensgeschichte Ben Vertriests. Von seinen Mitschülern permanent gedemütigt, flüchtet dieser in die virtuelle Welt eines Online-Rollenspiels. Balthazar spielt dabei mit den Gestaltungsmitteln der Computergames und des Fernsehens und zeichnet dabei treffend das Bild einer zutiefst mediatisierten und kommerzialisierten Jugendkultur.

Webseite: www.benx.kinowelt.de

Belgien 2007
Regie: Nic Balthazar
Buch: Nic Balthazar
Kamera: Lou Berghmans
Schnitt: Phillippe Ravoet
Musik: Praga Khan
Darsteller: Greg Timmermans, Lura Verlinden, Marijke Pinoy, Pol Goossen, Titus De Voogdt, Maarten Claeyssens
93 Minuten, Format: 1:1,85
Verleih: Kinowelt
Kinostart: 8. Mai 2008

PRESSESTIMMEN:

Der beste Film nach "Rain Man"
ARD Titel Thesen Temperamente

"Ben X"’ leistet einen exzellent umgesetzten Beitrag zu Themen wie Toleranz und Gewalt im Alltag, Gewalt gegen ‚Andere’ - und ist trotzdem niemals pädagogisch. Von dem nicht nur für Ben überraschenden, furiosen Ende ganz zu schweigen.
ZDF Aspekte

Wenn Sie sich einen Gefallen tun wollen, gucken Sie sich diesen Film an.
Jörg Thadeusz, RBB Radio Eins

Zeigefingerfrei, bewegend, spannend und hat ein umwerfendes Ende ... famos.
Prinz 

FILMKRITIK: 

Ben Vertriest leidet am Asperger-Syndrom, einer Kontakt- und Kommunikationsstörung. Er scheut Blick- und Körperkontakt, hat große Schwierigkeiten, zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen. Dem blassen schlaksigen Jugendlichen sieht man die Anstrengung an, mit der er seinen Alltag zu bewältigen versucht. Er scheint unter ständiger Anspannung zu stehen. Nach außen hin einigermaßen normal zu wirken, nicht aufzufallen, das ist für Ben ein enormer Kraftakt. Nur wenn er in die phantastische Welt des Online-Rollenspiel „Archlord“ eintaucht, kann er sich entspannen. Sie bietet ihm Schutz. Aber auch in der realen Umgebung vermischt sich Bens Wahrnehmung immer wieder auf für ihn beruhigende Weise mit der virtuellen, vermittelt ihm zeitweise ein Gefühl der Kontrolle. Seine Schritte gleichen dann den unnatürlichen Bewegungen seines Avatars im Game, der immer etwas unbeholfen, den Gang realer Menschen nachzuahmen versucht. Sein Blick scannt die Personen in seiner Umgebung wie Fremdlinge, ganz frei von Empathie und voller Unverständnis für ihre Verhaltensweisen: „Guten Morgen. Das sagen Menschen immer. Ob er gut ist oder nicht.“

Seine Mitschüler reagieren auf gnadenlose Weise auf Bens Andersartigkeit. Seit seiner Kindheit wird er schikaniert und gedemütigt. Während Ben Schutz in der virtuellen Welt sucht, fällt die Wirkung der realen Welt immer mehr in diese ein. Das Mädchen, das hinter der virtuelle Figur Scarlite, der Heilerin  an seiner  Seite in  „Archlord“, steckt, kündigt an, ihn zu besuchen. Ben schwankt zwischen Vorfreude und Angst, denn schließlich weiß er um seine Kommunikationsstörung in der realen Welt. Dann wird der traurige Höhepunkt der Demütigungen seiner Mitschüler von mehreren Handy-Kameras festgehalten und im Netz verbreitet. In Ben wächst daraufhin der Entschluss, seinem unerträglichen Leben ein Ende zu bereiten.
 
Balthazar beleuchtet in seinem Film treffend die heutige Jugendkultur, die in einer Gesellschaft aufwächst, in der es kaum einen Ort gibt, der frei von den Alltagsmedien, wie Internet, Handy und Fernsehen existiert. So werden auch immer wieder Fernsehausschnitte eingefügt, die zeitlich nach den Ereignissen liegen und in denen die Beteiligten als Talking Heads versuchen, deren Ursachen und Gründe zu verstehen. Eindeutigkeiten, Simplifizierungen und auch der Wahrheitsanspruch der Medien werden immer wieder in Frage gestellt und fordern das Kritikvermögen des Zuschauers heraus. Einfache Antworten bietet der Film nicht, und schließlich rüttelt er einen mit seinem überraschenden und gewagten Ende noch einmal richtig auf.

Alexandra Kaschek


 

Mit schöner Regelmäßigkeit kann man in der Zeitung von neuen Gewalttaten an Schulen lesen, von Übergriffen auf Lehrer, per Handy gefilmten Schlägereien, den Schikanen, die Außenseiter jeglicher Couleur erdulden müssen. Die Hauptfigur in Nic Balthazars Debütfilm „Ben X“ ist ein ganz besonderer Fall von Außenseiter, denn Ben leidet an einer besonderen Form von Autismus, die ihn für seine Umwelt zum leichten Opfer macht. Die Folgen schildert Balthazar basierend auf seinem eigenen Roman und Theaterstück, die wiederum auf einer wahren Begebenheit beruhen, die sich vor einigen Jahren in Belgien zugetragen hat.

Dass Ben (Greg Timmermans) anders ist, merkt man sofort. Er leidet an einer besonderen Form von Autismus, die ihn nach Außen wie eine weitestgehend normale Person erscheinen lässt, die im Inneren aber hypersensibel ist. Jedes Geräusch, jede Berührung nimmt Ben viel stärker wahr als ein gewöhnlicher Mensch, doch ist er andererseits nicht in der Lage diese hohe Sensibilität zu Äußern. Für seine Klassenkameraden in einer ganz gewöhnlichen Schule ist Ben somit gefundenes Fressen. Sie schikanieren ihn wo sie nur können, machen sich über ihn lustig, demütigen ihn. Besonders die beiden Rüpel Bogaert und Desmet tun sich dabei hervor und sorgen auch für die Erniedrigung, die die Situation eskalieren lässt. Vor versammelter Klasse ziehen sie Ben unter dem Johlen seiner Mitschüler die Hose runter, dutzende Fotohandys filmen die Tat, die sich schnell im Internet wieder findet.

Dort verbringt auch Ben einen Großteil seiner Zeit, vor allem in einem Online-Rollenspiel namens „Archlord“. In dieser Fantasywelt ist er zu Hause, hier ist er akzeptiert und hat ein Maß an Kontrolle über sein Schicksal, das er in Wirklichkeit nicht hat. Dass diese Ebenen, echte und fiktive Welt in Bens Wahrnehmung zunehmend zu verwischen scheinen, suggeriert zunächst eine Richtung, die der Film schließlich doch nicht einschlägt. Um die Folgen übermäßigen Computerspielens geht es nur zum Teil. Immer wieder werden Szenen aus der Realität mit ähnlichen aus dem Computerspiel in Bezug gesetzt, scheint es so, als würde Bens Verstand nicht mehr unterscheiden können, was Echt und was Fiktion ist. Dann aber entwickelt sich die Handlung in eine völlig andere Richtung und lässt Ben zu einer ausgefeilten Racheaktion greifen, die angesichts des zuvor gesehenen nicht ganz überzeugend erscheint. Auf einmal hat Ben ein Maß an Kontrolle über seine Handlungen, dass er vorher nicht hatte. Dass ermöglicht dem Film zwar ein Ende, dass weniger grausam ist als die Realität (in der das Vorbild für die Figur Selbstmord verübte) und Stoff für moralische Diskussionen liefert, dass aber nicht ganz stimmig ist.

Hier merkt man dann doch, dass Nic Balthazar keine Erfahrung als Filmregisseur und vor allem Szenarist hat. Zwar sind all die Themen, die er in kaum 90 Minuten verpackt – von Mobbing, Selbstmorb unter Jugendlichen, Cybermobbing, dem so genannten „Happy Slapping“, der emotionalen Verrohung durch Computerspiele – interessant und relevant. In dieser Anhäufung jedoch, führen sie zu einer gewissen Überfrachtung des Films. So dürfte „Ben X“ bei allen Qualitäten in erster Linie als Ausgangspunkt für Diskussionen dienen, in denen die einzelnen Themen dann substanzieller vertieft werden können. Womit Balthazar sein Hauptziel sicherlich erreicht hätte.
 

Michael Meyns

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Ben ist Autist. Ein seiner Umwelt gegenüber schweres Leben, das er nur besteht, weil die von seinem Vater getrennt lebende Mutter zu ihm hält, für ihn sorgt und ihm zu helfen versucht. Und weil er ins Internet flüchtet. Dort, in seinem Kampfspiel „Archlord“ kann er die Gegner, wie sie ihn beispielsweise in seiner Schulklasse ständig und schwer drangsalieren, besiegen. Das virtuelle Spiel ist seine letzte Zuflucht. Doch langsam wird ihm der Kampf mit seinem Umfeld zu viel. Er denkt daran, Schluss zu machen. Game over. 

Da tritt Scarlite in sein Leben, das Mädchen aus „Archlord“. Ist sie real oder nur digital? Egal. Sie gibt ihm Kraft, befördert ihn zurück ins Leben.

Jetzt kann er ein Exempel statuieren: gegen die Belästigung und das Quälen Behinderter; gegen das gleichgültige oder gar bösartige Verhalten der Menschen im Umfeld Kranker; gegen das zu schnelle Aufgeben in schweren Lebenssituationen; gegen die zunehmende Zahl von Selbstmorden Jugendlicher.

Ein filmischer Versuch, Virtuelles und Reales sinnvoll zu verbinden. Ein Film, der zwar rasant inszeniert ist, aber doch lange Zeit braucht, bis er thematisch in die Gänge kommt.

Dann allerdings gewinnt er inhaltlich an Gewicht und an Fahrt. Niemand bleibt etwa bei dem vorgetäuschten Suicid und der makaber anmutenden, aber letztlich ihre Wirkung zeitigenden Beerdigungsszene oder bei Scarlites liebevollen Gesten, mit denen sie Ben neuen Lebensmut verschafft, gänzlich unberührt.

Die Veranschaulichung einer Mischung aus in unserer Zeit immer stärker werdendem Internet-Einfluß, daraus resultierenden Persönlichkeitsveränderungen, hilfloser Existenz, verzweifeltem Enddenken und Wiederaufrichtung. Ein aus heutiger Sicht durchaus bedenkenswerter Ansatz, sichtlich mit Bemühen dargestellt und gespielt – nicht ohne formale Originalität. Eine Mahnung und Warnung auch.

Thomas Engel