Benedetta

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Fulminant kehrte das niederländische Regie-Enfant-terrible Paul Verhoeven 2016 nach Jahren ohne nennenswerte Veröffentlichung mit der Romanadaption „Elle“ auf die große Kinobühne zurück. In einer Mischung aus Drama, Thriller und schwarzer Komödie erzählte er, unterstützt von einer grandiosen Isabelle Huppert in der Hauptrolle, von einer Frau, die nach einer Vergewaltigung ein höchst unberechenbares Verhalten an den Tag legt. Der Lohn für den herausfordernden, aneckenden Film waren zahlreiche Preise, darunter zwei Golden Globe Awards und zwei Césars. Fünf Jahre später kehrt Verhoeven mit einem auf wahren Begebenheiten beruhenden Historienstreifen auf die Leinwände zurück, der strenggläubige Katholiken in Aufruhr versetzen dürfte. Die lesbische Nonnengeschichte in „Benedetta“ erreicht jedoch zu keinem Zeitpunkt die faszinierend-irritierende Kraft, die „Elle“ zu einem erinnerungswürdigen Erlebnis machte.

Website: https://www.capelight.de/benedetta

Frankreich 2021
Regisseur: Paul Verhoeven
Drehbuch: Paul Verhoeven, David Birke
Darsteller: Virginie Efira, Daphné Patakia, Charlotte Rampling, Lambert Wilson, Olivier Rabourdin, Louise Chevillotte, Clotilde Courau, Elena Plonka u. a.
Länge: 131 Minuten
Verleih: Capelight, Vertrieb: Central
Kinostart: 02.12.2021

FILMKRITIK:

Im 17. Jahrhunderts wird Benedetta Carlini (Elena Plonka), die angeblich einen Draht zur Jungfrau Maria hat, schon im Kindesalter von ihren Eltern in ein Kloster im toskanischen Pescia gebracht, wo sie ihren Glauben und ihre Fähigkeiten festigen soll. Unter den strengen Augen der Äbtissin Schwester Felicita (Charlotte Rampling) wächst das Mädchen zu einer jungen Frau (nun gespielt von Virginie Efira) heran und wird zunehmend von religiösen Visionen heimgesucht. Als irgendwann die Wundmale Christi an ihrem Körper erscheinen, steigt sie plötzlich zu einer Art Heilsverkünderin auf. Während sie insgeheim eine Affäre mit der Nonnenschülerin Bartolomea (Daphné Patakia) beginnt, spült ihr neues Ansehen sie in das Führungsamt des Klosters. Nach einem dramatischen Zwischenfall wendet sich die abgesetzte Vorsteherin, die um die verbotene sexuelle Beziehung weiß, an den päpstlichen Nuntius in Florenz (Lambert Wilson). Der Kirchenmann bricht schließlich in das von der überall grassierenden Pest bislang verschonte Pescia auf, um den Fall zu untersuchen.

„Schändliche Leidenschaften: Das Leben einer lesbischen Nonne in Italien zur Zeit der Renaissance“ lautet der Titel eines Buches, in dem die US-Historikerin Judith Cora Brown der Geschichte der wahren Benedetta Carlini nachspürt. Verhoeven und seinem Koautor David Birke, die schon bei „Elle“ gemeinsame Sache machten, diente eben dieses Werk als Inspirationsquelle für ihr Skript, das man nicht nur auf seine provokanten Elemente reduzieren sollte. Zum Vorschein kommt durchaus das Bemühen, eine weibliche Erweckungs- und Ermächtigungsgeschichte zu schildern, die parallel das stark patriarchal geprägte System der katholischen Kirche kritisch und satirisch beleuchtet.

Entlarvend und amüsant ist bereits der geschäftstüchtige Eifer, mit dem die zu diesem Zeitpunkt noch an der Spitze des Klosters stehende Felicita Verhandlungen über neue Eintritte führt. Die in der Bibel so sehr hochgehaltene Wohltätigkeit scheint in ihren Überlegungen wenig Platz zu haben. Vielmehr folgt sie dem Credo: Wer bereit ist, das nötige Geld zu zahlen, wird mit offenen Armen aufgenommen. Wie selten die eigenen Grundsätze in der Praxis gelebt werden, zeigt auch das Beispiel des Nuntius, der selbst offenbar kein Kind von Traurigkeit ist, gegen Benedettas homosexuelle Beziehung aber mit allen gebotenen Mitteln zu Felde zieht. Hinter seinem Vorgehen steht freilich die Angst, Macht und Deutungshoheit in Gesellschaft einer Frau einzubüßen, die über ihre Visionen in direktem Kontakt mit Jesus zu stehen behauptet. Ob die Ordensschwester die Erscheinungen wirklich erlebt, sie nur imaginiert oder ihr Umfeld bewusst täuscht, buchstabiert der Film übrigens nie richtig aus.

Immer mal wieder testet Berufsprovokateur Verhoeven Grenzen aus, um seine Kritik an der Institution Kirche zugespitzt vorzubringen. Zum Einsatz kommt etwa eine zu einem Dildo umfunktionierte Marienstatue. Ein kalkulierter Affront, der den Film allerdings noch nicht zu einem Vertreter des anrüchigen Nunsploitation-Subgenres macht, in dem das Klostersetting für reißerische, häufig voyeuristisch-erotische Erzählungen genutzt wird. Dass sich „Benedetta“ dennoch in diesem Dunstkreis bewegt, hängt vor allem mit einigen Inszenierungsentscheidungen und einem generell amateurhaften Anstrich zusammen.

Mehr als einmal baut der Regisseur, mit den Exzessen des Horrorkinos flirtend, eher lächerlich anmutende Splatter-Momente in die Handlung ein. Die Kostüme riechen zuweilen nach dem Fundus einer Laientheatertruppe. Das Auftreten eines künstlich rot leuchtenden Kometen über der Abtei könnte auch aus einer billigen Science-Fiction-Arbeit stammen. Und Massenszenen wirken mitunter seltsam klein. Womöglich stand nicht ausreichend Geld zur Verfügung, um das von der Pest gebeutelte Renaissance-Ambiente glaubhaft zum Leben zu erwecken. Genauso gut kann es aber auch sein, dass Verhoeven durch die eigenwillige Art der Darstellung eine Form der ironischen Distanzierung anstrebt. Seiner um spannende Fragen kreisenden Geschichte und seiner Protagonistin, die bei weitem nicht die Komplexität der Hauptfigur aus „Elle“ erreicht, tut er damit jedoch keinen Gefallen. Weil der Film inhaltlich zu selten in die Tiefe vordringt, wird man das Gefühl nicht los, einer historischen Seifenoper beizuwohnen.

Christopher Diekhaus