Blame – Von Fledermäusen und Fake News

„Wir werden einander viel verzeihen müssen“, meinte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu Beginn der Covid-Pandemie mit Blick auf die Zeit danach, und er hatte recht: In dieser bis dato unbekannten Situation wurden viele Fehler begangen, wie sich hinterher herausstellte. Aber tatsächlich ist während der Pandemie auch einiges andere passiert, zum Beispiel das geplante und böswillige Untergraben des Vertrauens in die Wissenschaft, vorangetrieben u. a. von rechtspopulistischen Politikern und Influencern.
Diese Kampagnen hat Christian Frei zum Thema seines emotionalen und sehr angriffslustigen Dokumentarfilms „Blame“ gemacht, wobei er meinungsstark nicht davor zurückschreckt, auch sich selbst angreifbar zu machen.

 

Über den Film

Originaltitel

Blame – Von Fledermäusen und Fake News

Deutscher Titel

Blame – Von Fledermäusen und Fake News

Produktionsland

CHE

Filmdauer

123 min

Produktionsjahr

2025

Regisseur

Frei, Christian

Verleih

Rise And Shine Cinema UG

Starttermin

05.02.2026

 

Christian Frei stellt drei Wissenschaftler in den Mittelpunkt seines Films: Shi Zhengli, Virologin am Wuhan-Institut, den Molekular-Biologen Linfa Wang aus Singapur und den britisch-amerikanischen Zoologen und Experten für Infektionsepidemologie Peter Daszak. Diese Wissenschaftler hatten während der ersten SARS-Epidemie 2002/2003 nach dem Ursprung des Erregers gesucht und waren dabei auf Fledermäuse gestoßen. Unabhängig voneinander hatten sie weiter geforscht und beständig vor der nächsten Pandemie gewarnt, die dann 2020 als SARSCov-2 bzw. Corona die Welt beinahe aus den Angeln hob und lahmlegte. Die Arbeit der porträtierten Wissenschaftler bestand von diesem Zeitpunkt an erstaunlicherweise nicht nur darin, das Virus weiter zu erforschen. Sie mussten sich auch gegen eine Welle aus Lügen, Desinformation und politischen Kampagnen wehren, die das Ziel hatte, die Arbeit seriöser Wissenschaftler zu diskreditieren, um die Agenda meist rechtspopulistischer Politiker zu befördern.

Mit beinahe opernhafter Wucht, wozu der Soundtrack von Marcel Vaid und Jóhann Jòhannsson entscheidend beiträgt, schildert Christian Frei, wie die Suche nach wissenschaftlicher Wahrheit zur Mutprobe wird. Frei erzählt sehr emotional, wie Menschen, die mit wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen versuchten, eine lebensgefährliche Pandemie unter Kontrolle zu bringen, zu Sündenböcken gemacht wurden. Menschen von bisher untadeligem wissenschaftlichen Ruf wurden durch die Social-Media-Mühle gedreht, von Demagogen wie Stephen Bannon und Tucker Carlson diskreditiert und instrumentalisiert, um die „Lab-Leak-Theorie“ zu befördern, nach der das Corona-Virus absichtlich von einem chinesischen Labor aus auf die Welt losgelassen wurde. Gerade die erste Trump-Administration benutzte diese Theorie, um Ängste zu schüren und die Bevölkerung zu spalten.

Christian Frei bezieht dabei unmissverständlich Position, nicht nur in seinen Voiceover-Kommentaren, er macht sich auch selbst zum Akteur des Geschehens. Wir sehen ihn mit grämlicher Miene beim Lesen zweifelhafter Publikationen, und bei Treffen der Wissenschaftler sitzt er wie selbstverständlich mit am Tisch und nimmt die Position von Shi Zhengli ein, die von der chinesischen Regierung keine Ausnahmegenehmigung bekommen hat. Darüber hinaus nutzt Frei auch alle inszenatorischen Mittel, die er seinen Gegnern, den rechtspopulistischen Manipulanten zum Vorwurf macht: er verkürzt, emotionalisiert, verengt den Fokus auf das, was seiner Ansicht nach gut und richtig ist.

Die Einteilung des Films in Kapitel suggeriert eine investigative Vorgehensweise, doch des Öfteren bleibt die vorgebliche Suche nach der Wahrheit in Einseitigkeit und Vereinfachung stecken. Gelegentlich dominiert haargenau der Sensationalismus, den Frei anprangern möchte. Was nicht nötig gewesen wäre: Gerade die leiseren Passagen des Films beeindrucken stark. Da gelingt es dem Regisseur, die Widerstände, das Scheitern und die Hoffnung seiner Protagonisten deutlich zu machen und den Zuschauer ganz ohne die vordergründige Faszination an Mythen und Verschwörungen zu beeindrucken.

„Blame“ ist ein spannender, uneindeutiger und streitbarer Film, der über die Ambivalenzen der Pandemie, wissenschaftlicher Kritik und politischer Meinungsmache reflektiert. Christian Freis Film zeigt die Gefahren, die von Verschwörungstheorien ausgehen, ebenso auf wie die Relevanz der faktenbasierten Forschung. Dabei schert er sich nicht um Objektivität, sondern bezieht eindeutig Position, und zwar gelegentlich mit haargenau den Mitteln, die er entlarven und verurteilen will. Damit wird dieser sehenswerte, engagierte Dokumentarfilm selbst zu einer durchaus diskussionswürdigen Erfahrung.

 

Gaby Sikorski

Mehr lesen

Neuste Filmkritiken

ℹ️ Die Inhalte von programmkino.de sind nur für die persönliche Information bestimmt. Weitergabe und gewerbliche Nutzung sind untersagt. Nachdruck nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Filmkritiken dürfen ausschließlich von Mitgliedern der AG Kino-Gilde für ihre Publikationen verwendet werden.