Boy 7

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Filme wie „Die Tribute von Panem“ bieten temporeiches, sozialkritisches Kino für eine meist jüngere Zielgruppe. In diesem Sommer startet mit „Boy 7“ die Kinoumsetzung des gleichnamigen Jugendbuch-Bestsellers der niederländischen Autorin Mirjam Mous. Unter der Regie von Özgür Yildirim, der einst mit „Chiko“ für Aufsehen sorgte, entstand ein unterhaltsamer, wenngleich nur bedingt origineller Science-Fiction-Thriller mit David Kross und Emilia Schüle in den Hauptrollen. Straffällige Jugendliche geraten in einer obskuren, sektenartigen Resozialisierungsanstalt unter den Einfluss gefährlicher, persönlichkeitsverändernder Experimente.

Webseite: www.24bilder.net

D 2015
Regie: Özgür Yildirim
Drehbuch: Philip Delmaar, Marco van Geffen, Özgür Yildirim nach dem Roman von Mirjam Mous
Darsteller. David Kross, Emilia Schüle, Ben Münchow, Jens Harzer, Jörg Hartmann, Buddy Ögun
Laufzeit: 108 Minuten
Verleih: Koch Media, Vertrieb: 24 Bilder
Kinostart: 20.8.2015
 

FILMKRITIK:

Die Leinwand ist schwarz. Allein ein schweres Atmen ist zu hören. Dann plötzlich geht das Licht einer Taschenlampe an. Es zeigt sich, dass ein junger Mann (David Kross) offenbar orientierungslos auf den U-Bahn-Gleisen aufgewacht ist. Wie und durch wen er dorthin hingekommen ist, scheint ebenso unklar wie die weiteren Umstände. Schon bald muss er feststellen, dass er offenkundig gesucht wird. Einer Festnahme kann er im letzten Augenblick entkommen. Fortan befindet er sich auf der Flucht. Ein kleiner Zettel führt ihn schließlich in ein Restaurant, wo er ein handschriftliches Tagebuch entdeckt. Es ist seine Handschrift und seine Geschichte, die er zuvor für sich aufgeschrieben hat. Mit jeder Seite taucht der Junge tiefer in das Rätsel seiner eigenen, dunklen Vergangenheit ein. Dabei trifft er wenig später auf eine junge Frau (Emilia Schüle), deren Schicksal eng mit dem eigenen verbunden zu sein scheint.
 
Basierend auf dem erfolgreichen Jugendbuch „Boy 7“ der niederländischen Autorin Mirjam Mous entwirft „Chiko“-Regisseur Özgür Yildirim im Folgenden eine durchaus sehr real anmutende, dystopische Zukunftsvision, in dem die Freiheit des Einzelnen unter vermeintlich hehren Zielen und der Suche nach dem perfekten Menschen verloren geht. Statt eigenständigem, kritischem Denken werden hier Gehorsam, Disziplin und eine beinahe roboterähnliche Leistungsbereitschaft antrainiert. In mehreren Rückblenden deckt der Film das Schicksal des von David Kross verkörperten Jungen ohne Gedächtnis auf. Dabei zeigt sich leider etwas zu schnell, wie genau die einzelnen Puzzleteile zusammengesetzt werden müssen und welches Geheiminis jener „Boy 7“ in sich trägt. Die Spur führt in eine Vorzeige-Resozialisierungseinrichtung mit Namen „Kooperation X“, in der ein ehrgeiziger Institutsleiter (Jörg Hartmann) jugendliche Straftäter in ihren Talenten fördern und auf den rechten Weg zurückbringen möchte.
 
In diesem seltsamen Kosmos aus Sanatorium, Eliteinternat und Bundeswehrkaserne etablierte Mous einen spannend erzählten Science-Fiction-Thriller für Jugendliche mit durchaus klaren, gesellschaftskritischen Untertönen. Diese sind auch in der deutschen Kinoumsetzung – eine niederländische Verfilmung startete bereits Anfang des Jahres in Mous’ Heimat – sehr präsent. Yildirim lässt von Beginn an keine Zweifel zu, wer in dieser „schönen neuen Welt“ gut und wer böse ist. Entsprechend gering ist das Überraschungspotenzial dieses routiniert inszenierten Adoleszenzthrillers, der vor allem dank seines Darstellerensembles unterhält. Der spätestens seit „Der Vorleser“ auch international bekannte David Kross ist erneut als Identifikationsfigur besetzt, für die das Publikum Empathie und Anteilnahme entwickeln soll. An seiner Seite gibt Nachwuchsstar Emilia Schüle („Freche Mädchen“, „Tod den Hippies! Es lebe der Punk!“) nicht weniger überzeugend die kluge, unangepasste Rebellin.
 
In „Boy 7“ vermischen sich Themen des Science-Fiction-Genres mit Elementen einer klassischen Coming-of-Age-Geschichte. Das macht ihn vor allem für Jugendliche interessant und spannend. Erfahrenere SciFi-Fans werden hingegen die von Yildirim visuell abwechslungsreich angeordneten Plotelemente mehr als eine Ansammlung bekannter Genrezitate wahrnehmen. Filme wie „Total Recall“, „Dark City“ oder „A Scanner Darkly“, die sich ebenfalls mit der Manipulation von Erinnerungen, dem Erkennen der Wirklichkeit und der Gefahr einer totalen Überwachung beschäftigten, dürften Mous beim Schreiben ihres Roman beeinflusst haben. Immerhin bietet dieser ebenso wie Yildirims filmische Umsetzung zumindest in Teilen eine neue Perspektive. Der jugendliche Held, der in einer zunehmend hektischen, unübersichtlichen Welt zum Gehetzten und Getriebenen wird, kann auch als zugespitzte Kritik am Status Quo verstanden werden.
 
Marcus Wessel