Burning Days

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Türkisches Kino ist traditionell für Entdeckungen gut. Als echte Filmkunstperle erweist sich dieser suspense starke Polit-Thriller um Machtmissbrauch, Manipulation und Moral. Ein junger smarter Staatsanwalt versucht den aufrechten Gang in der Provinz. Doch er hat die Rechnung ohne die lokalen Bonzen gemacht, die ohne Skrupel ihre Intrigen spinnen. Mit dramaturgischer Raffinesse erzählt, einfallsreich bebildert sowie eindrucksvoll gespielt, entwickelt dieses Drama eine unheimliche Spannung von der ersten Minute bis zum Abspann! Nicht umsonst gab es dafür vier türkische Kritiker-Preise sowie reichlich Furore auf Festivals von Cannes bis München. Ein humanistischer Thriller mit Wow-Effekt!

Webseite: https://cinemien.de/film/burning-days/

Türkei 2022
Regie: Emin Alper
Darsteller: Selahattin Pasali, Ekin Koç, Erol Babaoglu, Selin Yeninci, Erdem Şenocak, Sinan Demirer
Länge: 127 Minuten
Verleih: Cinemien Deutschland
Kinostart: 28.September 2023

FILMKRITIK:

„Sie müssen sich ändern, wenn Sie in der Provinz arbeiten möchten!“ rät die Richterin dem neuen Staatsanwalt. Was genau sie damit meint, bleibt offen. Andeutungen sind typisch für diesen Thriller, der seinen Helden und die Zuschauer gleichermaßen auf unsicheres Terrain schickt und dramaturgische Nebelkerzen zündet. „Er ist kein guter Umgang.“ - „Warum?“ - „Sagen wir aus moralischen Gründen.“ heißt es in einem anderen Dialog einmal. Aufgeteilt ist das Polit-Drama in vier Kapitel: „Das Fest“, „Die Untersuchung“, „Neue Verhaftungen“ und „Die Wahlen“. Gleich zum Auftakt geht es heftig zur Sache: Eine johlende Meute fährt im Konvoi durch das Dorf Yaniklar und ballert Schüsse in die Luft. Für den jungen Staatsanwalt Emre, frisch angereist aus Ankara, eine scheinbar günstige Gelegenheit, seine Macht zu demonstrieren und dem illegalen Treiben einen Riegel vorzuschieben.

Das Treffen mit den Verantwortlichen, dem Sohn des Bürgermeisters sowie dem örtlichen Zahnarzt, verläuft auf den ersten Blick höflich. Es bleibt jedoch ergebnislos. Deren Einladung zum späteren Abendessen im Garten des Bürgermeisters kann der Neuling freilich kaum abschlagen. Den angebotenen Raki-Schnaps abzulehnen, wäre eine Missachtung der Gastfreundschaft. Auf einen kurzen Sprung schaut der Journalist Murat beim Dinner vorbei, dem Emre bereits am Vormittag beim Schwimmen im See begegnete. Später tanzt eine junge Frau durch den Garten. Am Morgen danach hat der Staatsanwalt einen dicken Kopf, einen Knutschfleck - und einen Filmriss.

Viel Zeit zur Erholung bleibt Emre nicht: Es gilt, die Vergewaltigung eines Roma-Teenagers aufzuklären. Passiert ist das Verbrechen im Garten des Bürgermeisters. Die Verdächtigen scheinen klar. Doch wie verhielt sich der Staatsanwalt in jener Nacht? Hat der Journalist den betrunkenen Emre tatsächlich in seine nahe gelegene Wohnung gebracht? Trau-Schau-Wem wird zunehmend wichtiger in diesem Puzzlespiel um ein ungeklärtes Verbrechen, zumal der Wahlkampf des Bürgermeisters in die Endrunde geht. Als sich die Wasserversorgung nach langer Dürre dramatisch verschlechtert, liegen die Nerven zunehmend blank in Yaniklar, Gerüchte und Intrigen haben Hochkonjunktur, schnell sind Sündenböcke gefunden. Homophobie ist der Joker aller Populisten.

Atmosphärisch dicht erzählt Emin Alper seinen beklemmenden Thriller um Machtmissbrauch, Manipulation und Moral. „Dies ist keine Geschichte über Gut und Böse, sondern über ‚weniger Gut
und Böse’“, erläutert der Regisseur seinen Ansatz, der klug auf gängige Klischees verzichtet und das Publikum lieber rätseln lässt, welche wahren Motive hinter scheinbarem Idealismus stecken. Durch Rückblenden setzt sich das Story-Puzzle raffiniert zusammen. Immer mehr Geheimnisse der Figuren werden enthüllt, wie im Kaleidoskop lassen Geschichten über die Vergangenheit ein neues Bild entstehen.

Visuell überzeugt der Thriller gleichfalls durch Einfallsreichtum und betörende Bilder. Gleich zum Auftakt steht der junge Held vor einem riesigen Krater. Ein Sinkloch, das durch das Absenken des Grundwassers verursacht wird. Als Emre später in einem See baden geht, wirkt auch diese surreale Kulisse denkbar bedrohlich. Erst recht, als ein mysteriöser Motorradfahrer in der Ferne auftaucht.

Selahattin Pasalim, bekannt durch die Netflex-Serie „Love 101“, überzeugt als charismatischer Held. Ein Idealist, der bei seinem aufrechten Gang zunehmend ins Straucheln gerät. Und hinter dessen cooler Fassade des ehrgeizigen Juristen ein verletzlicher Mensch steckt. Psychologisch plausibel gestaltet, mit großer Glaubwürdigkeit und Präzision gespielt, sind diesem Emre die Sympathien des Publikums von Anfang an sicher - und sie werden anhalten bis zu einem nervenaufreibenden Finale mit Wow-Effekt! Dieter Oßwald