Camino de Santiago

Zum Vergrößern klicken

Der Jakobsweg hat seine Faszination nach wie vor nicht verloren. Zuletzt holten sich im Jahr 2014 mehr als 237.000 Menschen am Zielort Santiago de Compostela in Galizien ihre Pilgerurkunde ab, hatten offiziell also die letzten 100 Kilometer des hier zusammentreffenden europäischen Kulturwegenetzes absolviert. Ein Schweizer Team hat Pilger und Herbergsgeber zu ihren Eindrücken befragt und Landschaftsimpressionen festgehalten. Wer den Weg kennt, wird Bekanntes wiederfinden. Wer ihn gehen will, bekommt Lust, loszumarschieren.

Webseite: http://caminodesantiago-film.de

Schweiz 2015
Regie: Jonas Frei & Manuel Schweizer
Dokumentarfilm
82 Minuten
Verleih: Farbfilm Verleih
Kinostart: 4.6.2015
 

FILMKRITIK:

Geschrieben worden ist viel über den Jakobsweg, der erstmals 1047 urkundlich erwähnt wurde und wie ein Flusssystem historische Pfade aus Portugal und Südspanien, vor allem aber vom Osten Europas her zum angeblichen Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela zusammenführt. Allein wegen Hape Kerkelings Selbsterfahrungsoffenbarungen haben sich Tausende von Menschen Blasen gelaufen. Das Kino nahm sich 2005 mit der Komödie „Pilgern auf Französisch“ von Colline Serreau und 2011 mit der familientherapeutischen US-Produktion „Dein Weg“ von Emilio Estevez mit Martin Sheen als Pilger dem Phänomen an.
 
Aus der Schweiz kommt nun eine Dokumentation, für die ein Filmteam um Jonas Frei (er produzierte 2010 eine Doku über die „Panamericana“) und Manuel Schweizer im Fahrradsattel Impressionen sammelte. Entsprechend flüchtig sind die Begegnungen mit den Fußpilgern, die jeweils kurz das Warum und Wieso ihrer Reise erläutern dürfen. Über die scheinbar spontan angesprochenen Protagonisten erfährt man im Presseheft allerdings mehr als im Film selbst. In die Kamera hinein äußern sie sich oft mit nicht mehr als floskelhaften und oberflächlichen Aussagen. Ja, es ist richtig, dass Begegnungen entlang des Jakobsweges unkompliziert verlaufen, Gespräche mit eben noch wildfremden Menschen oft sehr schnell eine erstaunliche Tiefe erreichen können. Davon aber ist hier wenig zu spüren. Von Pepe, der seit 29 Jahren jedes Jahr pilgert, hätte man gerne mehr Geschichten gehört, zum Beispiel auch eine Aussage darüber, wie sich das Pilgern im Laufe der Zeit verändert hat. Deutlich wird in den meisten Aussagen, dass bei vielen Pilgern der Weg das Ziel ist und der höchste Genuss sich dann einstellt, wenn man die Gedanken an das Leben und die Sorgen zuhause hinter sich und die Dinge hier einfach einmal auf sich zukommen lassen kann – so wie die auf offenem Feuer in Kesseln kochenden Tintenfischarme, die in Melide in besenähnlichen Garagengaststätten eine willkommene Abwechslung auf dem Speiseplan von Pilgern darstellen. Von solchen die Eintönigkeit des Pilgeralltags aufbrechenden Momenten und Situationen hätte es durchaus ein paar mehr geben können.
 
Hinsichtlich ihrer Dramaturgie bleibt der Dokumentation fast nichts anderes übrig, als sich dem Weg als solchem unterzuordnen. Die Schweizer filmen dabei auch schon auf Abschnitten vor dem in den französischen Pyrenäen beginnenden St. Jean Pied-de-Port und dem auf spanischer Seite liegenden Kloster Roncevalles, dem Beginn des rund 800 Kilometer langen Camino Francés, der Hauptroute des Pilgerwegs, auf der man Königstädte wie Jaca, Pamplona, Estella, Burgos und Léon passiert.
 
Abgesehen von den landschaftlichen Veränderungen gleichen sich die Bilder dann aber doch oft sehr und wird versucht, über Aufnahmen von oben auf Kirchen und Kathedralen eine gewisse Erhabenheit herzustellen. Der Effekt ist jedoch, dass Landschaften und Ansichten zu Postkartenmotiven werden, unterlegt zudem durch eine pathetische Musik. Das Gefühl, dass sich die Filmemacher hier auf ein Thema einlassen wollten, wird so nicht spürbar. Ihr Film wirkt gehetzt, was aber auch an der Fortbewegung auf dem Fahrrad liegen könnte. Gleichwohl: für Jakobsweg-Interessierte könnte der Film ein Ansporn sein, sich auf die Reise zu machen. Sie werden Erfahrungen machen, die sich für immer ins Gedächtnis und auch die Seele einbrennen werden. Intensiver, als es jeder Spiel- oder Dokumentarfilm zum Thema wird leisten können.
 
Thomas Volkmann