Chiko

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Produziert und protegiert von Fatih Akin, zeichnet Chiko, das Spielfilmdebüt des Hamburger Deutschtürken Özgür Yildirim, den Aufstieg und Fall eines jungen, übermütigen Gangsters nach. Wenngleich der mitunter postulierte Authentizitätsanspruch bezweifelt werden darf, gelingt Yildirim eine über weite Strecken packende Milieu-Studie, die vorrangig als harter Genrebeitrag in der Tradition amerikanischer Gangster-Dramen funktioniert. Bei seiner Premiere in der Panorama-Sektion der diesjährigen Berlinale rief der Film ein geteiltes Echo hervor. Besonders die Gewaltdarstellung sorgte bei manch einem für Unbehagen. Dabei ist Chiko gerade in diesem Punkt unmissverständlich.

Webseite: falcom.ch

Deutschland 2008
Regie: Özgür Yildirim
Buch: Özgür Yilgirim
Darsteller: Denis Moschitto, Moritz Bleibtreu, Fahri Yardim, Philipp Baltus, Reyhan Sahin, Volkan Özcan, Jelica Batarilo
93 Minuten, Format 1:1,85
Verleih: Falcom Media
Kinostart: 17. April 2008

PRESSESTIMMEN:

Mit viel Schmackes hat Özgür Yildirim diesen von Fatih Akin produzierten Hamburger Gangsterfilm inszeniert, rüde und ungestüm wie seine Helden... Mit genauem Blick, zupackender Inszenierung und viel Humor erschafft er schillernde Figuren...
Der Spiegel

FILMKRITIK:

Chiko (Denis Moschitto) lebt in einem Hamburger Vorort-Ghetto, hängt mit seinem Kumpel Tibet (Volkan Özcan) auf der Straße ab und sieht aus wie ein Klon des Rappers Bushido: massige Tattoos, perfekt gestutzter Bart, kurze Haare, aggressive Haltung. Chiko träumt vom Erfolg als Dealer, von einem weißen Mercedes-Coupe und einem Ausweg aus dem Ghetto. Voller Elan macht er sich auf, seine Träume wahr werden zu lassen. In diesem Fall bedeutet das konkurrierende Kleindealer verprügeln, sich zu wichtigeren Zwischenhändlern hochzuprügeln, um schließlich zu einem klärenden Gespräch mit dem Oberdealer eingeladen zu werden. Der nennt sich Brownie, ist hauptberuflich Musikproduzent und wird von Moritz Bleibtreu gespielt. Brownie zeigt sich beeindruckt von Chikos Chuzpe und bietet ihm einen Deal an: Schafft es Chiko innerhalb von zehn Tagen zwei Kilo Gras aus einer Wohnung zu verkaufen sind sie im Geschäft.

Zunächst läuft auch alles gut, das Geschäft brummt, Chikos Klamotten werden besser und die Gelegenheitsprostituierte Meryem (Reyhan Sahin) sorgt für Entspannung zwischen dem Dealen. Doch der labile Tibet hat eigene Pläne. Er zweigt für eigene Zwecke von Brownies Gras ab und bringt damit nicht nur sich sondern auch Chiko in Gefahr. Der muss – den Gepflogenheiten des Genres folgend – erkennen, dass das Gesetz der Straße hart ist. Bald steht er vor der Entscheidung zwischen seinem Freund, dem er sich in Treue verbunden sieht, und seiner eigenen Zukunft. Und da diese aus teuren Klamotten, einem schnellen Auto und einer schönen Frau besteht, fällt die Wahl leicht.

Dass sich Özgür Yildirims Film in arg vorhersehbaren Bahnen bewegt, man allenthalben Versatzstücke aus amerikanischen Filmen, deutschen Hip-Hop-Videos und anderen Fundgruben für Stereotypen erkennt, wäre zu verschmerzen. Doch je länger der Film dauert, je mehr sich Chiko zu moralischen Entscheidungen gezwungen sieht, verliert der Film seine Linie. Da gibt es gelegentlich Szenen in einer Moschee, ohne das die Religion eine wichtige Rolle im Leben der Figuren zu spielen scheint. Da wird angedeutet, dass Tibet einst Junkie war, aber eine wirkliche Funktion hat dies nicht. Stattdessen steigert sich „Chiko“ in emotionale, pathetische Ausbrüche, wie man sie von den Filmen des Produzenten Fatih Akin gewohnt ist. Was als authentische Milieustudie begann, hat sich zu diesem Zeitpunkt längst in ein überfrachtetes Mini-Epos verwandelt, dass eine kleine Geschichte mit viel zu viel Ballast überfrachtet.
Michael Meyns 

 

Ein weißer Mercedes CLK mit goldenen Felgen. So sieht für Chiko (überzeugend: Denis Moschitto) der Inbegriff von Erfolg aus. Und genau so einen Schlitten will er eines Tages selber besitzen und fahren. Jeder soll schließlich sehen, dass er es geschafft hat. Doch die Realität ist noch eine andere. Bislang versucht sich Chiko zusammen mit seinem besten Freund Tibet (Volkan Özcan) als Dealer in seinem Viertel. Dass er dabei anderen Tickern fast zwangsläufig auf die Füße tritt, scheint ihn nicht zu interessieren. Sein Mut und seine Schlagfertigkeit helfen ihm letztlich sogar bei seinem Aufstieg im Drogen-Milieu. Brownie (Moritz Bleibtreu), einer der Bosse, wird auf Chiko aufmerksam. Er engagiert den Jungen und baut allmählich zu ihm ein enges Vertrauensverhältnis auf.

Allerdings wird Chiko schon bald vor eine schwerwiegende Entscheidung gestellt. Als Brownie erfährt, dass Tibet ihn hintergeht, verlangt er, dass Chiko den Kontakt zu seinem besten Freund abbricht. Chiko fühlt sich hin- und hergerissen. Einerseits will er zu Tibet und dessen kranker Mutter (Lilay Huser) halten, andererseits erhofft er sich von Brownie Anerkennung und Macht. 

Gangster-Drama, Milieu-Studie, Ghetto-Tragödie. Viele Etiketten lassen sich auf Özgür Yildirims Regiedebüt Chiko anwenden. Die meisten von ihnen beschreiben jedoch nur dessen Oberfläche, das, was ohnehin nach wenigen Minuten für jeden Zuschauer offensichtlich ist. In Wirklichkeit ist Chiko vor allem eines. Ein straighter, handwerklich mehr als solider Genrefilm. Yildirim beobachtet Gangster und Kleinkriminelle bei ihrem Versuch, im Milieu aufzusteigen und abseits aller legalen Möglichkeiten Karriere zu machen. Von nichts anderem handelt beispielsweise auch Martin Scorseses Frühwerk Mean Streets, nur mit dem Unterschied, dass die Protagonisten seinerzeit Italo-Amerikaner und keine Türken waren.

Chikos Welt funktioniert nach dem „Friss oder Stirb“-Prinzip. Wer auf der Straße Schwäche zeigt, wird es nicht weit bringen. Das weiß Chiko. Aus diesem Grund riskiert er eine dicke Lippe und inszeniert sich bei jeder Gelegenheit als harter Kerl. Wer „nicht gefickt werden will“, muss eben die anderen „ficken“. Was Deutsch-Rapper wie Bushido und Sido in ihren Musikvideos als Männlichkeitsfassade aufbauen, nutzt Yildirim zur Charakterisierung seiner Hauptfiguren. Doch dabei bleibt es nicht. Yildirim nimmt vielmehr ein Bild – in diesem Fall ist es der gewaltbereite Halbstarke – und zeigt, in welche Sackgasse das von manchen Jugendlichen fälschlicherweise idealisierte Gangstersein führt. Am Ende hat Chiko für seinen Traum mit dem eigenen Blut bezahlt.

Ob das Gezeigte stets authentisch ist, darf stark bezweifelt werden. Letztlich spielt es auch keine so große Rolle, inwieweit Chiko sich zu einem Abgleich mit der Realität eignet. Der Film trägt in vielerlei Hinsicht einfach zu dick auf, um aus ihm ernsthaft einen dokumentarischen Anspruch ableiten zu wollen. Weitaus wichtiger ist, dass Chiko pubertären Gewaltfantasien eine unmissverständliche Absage erteilt. So wie Yildirim Gewalt filmt, tut sie weh – was gut ist. Wenn Chiko blind vor Hass in Brownies Haus stürmt und seinen Boss vor den Augen seiner Frau und Tochter eiskalt hinrichtet, ist das ein Schlag ins Gesicht. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Auf diese drei Worte lässt sich Yildirims couragierter Erstling im Kern zurückführen.

Marcus Wessel

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Chiko, bereits Vater eines kleinen Mädchens, und sein Freund Tibet sind junge Türken in Hamburg. Sie sind hier aufgewachsen, sprechen so gut deutsch wie jeder Einheimische. Das Milieu, aus dem sie stammen, ist allerdings keine Oberschicht. Deshalb will Chiko „raus“. Er lässt sich trotz offensichtlicher Frömmigkeit mit dem Drogen-Dealer Brownie ein, der ihm ein besseres Leben verheißt. 

Tibet hat eine schwer nierenkranke Mutter. Der Sohn will ihr eine neue Niere verschaffen und zweigt deshalb von Brownies Rauschgift einen Teil ab, um ihn auf eigene Rechnung zu verkaufen. Er wird natürlich entdeckt, und das ist der Beginn des Dramas. Tibet wird aufs grausamste bestraft und will – Anspruch auf echten Zusammenhalt wie unter Türken selbstverständlich -, dass Chiko zu ihm steht und Brownie umbringt. Brownie verlangt seinerseits von Chiko, Tibet „wegzumachen“.

Chiko schert aus. Er will Geld, Frauen, ein teueres Auto. Luxus gilt ihm plötzlich mehr als Freundschaft. Eine Zeitlang blüht das einträgliche, wenn auch betrügerische Drogengeschäft. Chiko lebt auf großem Fuß.

Tibet geht alleine los und schießt auf Brownie. Das wiederum zieht nach sich, dass er von dessen Schlägern gesucht wird. Als man ihn nicht findet, muss seine Mutter dafür büßen – mit dem Leben.

Das ist für Chiko der Anlass zur radikalen Umkehr. Jetzt könnte es sein, dass Brownie nicht mehr lange lebt. Und Chiko? Er vielleicht auch nicht.

Ein harter Milieufilm über den Fluch, den dunkle Geschäfte nach sich ziehen, über das Streben nach purem Luxus, über Freundschaft und Verrat, über eine quasi archaische Tragödie. 

Thematisch ist das alles andere als neu – aber geboten ist es ziemlich stark, und zwar sowohl von der Dramaturgie des Drehbuchs als auch von der Regie her. Über Moritz Bleibtreus Spiel als Brownie braucht nicht viel gesagt zu werden, es ist gut wie immer. Erstaunlich auch, wie realistisch und gut Denis Moschitto als Chiko auftritt – eine Entdeckung. 

Temperament, Emotion, Ekstase fehlen in diesem Film in keinem Moment. Eines ist danach sicher: Wer Geldgier über die Freundschaft stellt und diese auch noch verrät, rennt ins Verderben.

Thomas Engel