Cirkus Columbia

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Mit „Cirkus Columbia“ versucht der bosnische Regisseur Danis Tanovic an den Erfolg seines vielfach ausgezeichneten Debüts „No Man’s Land“ anzuknüpfen. Erneut zeigt er auf absurd-groteske Weise die komplizierten persönlichen und politischen Verstrickungen des Balkans, diesmal nicht in den Schützengräben des Krieges, sondern in einem kleinen Dorf in Bosnien kurz vor der Katastrophe. Bisweilen etwas zu plakativ erzählt überzeugt „Cirkus Columbia“ letztlich doch durch seine Vielschichtigkeit und seine unaufdringliche Nostalgie.

Webseite: www.movienetfilm.de

Bosnien-Herzegowina 2010
Regie: Danis Tanovic
Buch: Danis Tanovic, Ivica Dikic
Darsteller: Miki Manojlovic, Mira Furlan, Boris Ler, Jelena Stupljanin, Milan Strljic, Mario Knezovic
Länge: 113 Minuten
Verleih: Movienet
Kinostart: 29. September 2011

PRESSESTIMMEN:

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FILMKRITIK:

Jugoslawien, 1991. Der Zerfall des sozialistischen Gebildes schreitet voran, Kroatien hat schon seine Unabhängigkeit erklärt, bald wird Bosnien folgen. In einem kleinen, nicht näher benannten Dorf mitten im kroatischen Teil Bosniens bekommt man von der politischen Entwicklung kaum etwas mit. Das Leben im Sommer 91 plätschert vor sich hin, doch langsam erfassen die ethnischen Konflikte auch die Einwohnerschaft, die bislang friedlich miteinander lebte. Nach Jahren des unfreiwilligen Exils in Deutschland kehrt Divko zurück in seine Heimat, standesgemäß im Mercedes, an seinem Arm die schöne, junge Azra, in seinen Taschen viel Geld. Mit Hilfe seines Cousins, der gerade als erster mehr oder weniger demokratisch gewählter Bürgermeister sein Amt angetreten hat, verlangt Divko sein Haus zurück. In diesem hatten Divkos erste Frau Lucija und der gemeinsame Sohn Martin all die Jahre gelebt, nun müssen sie ihre Heimat notgedrungen verlassen. Ihnen zur Seite steht allein der Armee-Hauptmann Savo, der in der Kaserne am Dorfrand die sich fast täglich ändernde Situation abwartet. An einen Krieg mag aber auch er nicht zu glauben.

Ganz unterschwellig spitzt Tanovic die Situation zu, lässt er aus Freundschaften langsam Feindschaft entstehen, zeigt er, wie aus Menschen, die eben noch Nachbarn waren, fast über Nacht erbitterte Gegner werden. Und auch wenn man nicht immer genau weiß, ob die einzelnen Figuren nun bosnische Serben, bosnische Kroaten oder Teil einer der anderen vielen ethnischen Gruppen des Balkans sind, wird überdeutlich, wie der aufkommende Krieg lange unterdrückte Aversionen wieder an die Oberfläche bringt. Zu Beginn des Films ist Martin zum Beispiel noch mit Pivac befreundet, so wie sie es waren seit sie denken können. Doch Pivac ist der Sohn des Bürgermeisters und als solcher bald auf der Seite der kroatischen Nationalisten. Martin dagegen hat durchaus Sympathien für den ehemaligen kommunistischen Bürgermeister des Dorfes, der bald Hals über Kopf flieht. Und so entfremden sich die Freunde im Laufe der Erzählung zunehmend, so wie das ganze Dorf in verschiedene Fraktionen zerfällt.

Wirklich aufgeschlüsselt werden die vielfältigen Figurenkonstellationen nicht, angesichts der kaum überschaubaren ethnischen Konflikte, die die diversen Balkan-Kriege der jüngeren Vergangenheit auslösten, wäre der Versuch auch zum Scheitern verurteilt. Stattdessen malt Tanovic mit grobem Strich Typen auf die Leinwand, die nur andeuten sollen, wie die Politik von den Menschen des Dorfes Besitz ergreift. Manchmal geraten seine Figuren dabei allzu sehr zu Klischees, von der ständig kochenden Hausfrau, über die laszive junge Gespielin, bis zum natürlich beleibten kommunistischen Funktionär. Am Ende aber überzeugt „Cirkus Columbia“ doch durch seine Atmosphäre, die nicht zu sehr in der Nostalgie einer vergangenen Zeit badet, sondern einen Eindruck davon vermittelt, wie unerwartet und doch unausweichlich der Krieg mit all seinen persönlichen Folgen Einzug in eine eigentlich vollkommen friedliche Welt gehalten hat.

Michael Meyns

Bosnien-Herzegowina 1991. Tito ist längst tot und der Kommunismus am Ende. Die früheren jugoslawischen Teilrepubliken streben nach Selbständigkeit. Zwischen Serbien und Kroatien ist die Lage wegen verschiedener Gebietsansprüche schon äußerst gespannt. Und was ist mit den Menschen, den Kroaten, den Serben, den Muslimen? Bisher wohnten und lebten sie verhältnismäßig friedlich neben- oder miteinander. Jetzt treten Ressentiments auf.

Der Kroate Divko Buntic war ein Gegner des alten Systems. Deshalb floh er nach Deutschland. Zwanzig Jahre lebte und arbeitete er dort. Er ist relativ wohlhabend geworden. Jetzt, da Demokratie herrschen soll, kehrt er nach Bosnien-Herzegowina zurück. Er kommt mit seiner Freundin Azra. Die Nochehefrau Lucija wohnte all die Jahre mit beider Sohn Martin in Divkos Haus. Die Beziehung zwischen Lucija und ihrem Nochehemann könnte schlechter nicht sein. Von Verrat und Im- Stich-lassen ist die Rede. Dass Lucija damals in der Heimat blieb, um Divko zu retten, weiß dieser nicht.

Jetzt will er „sein“ Haus zurück, lässt Lucija hinauswerfen, und mit ihr geht auch Martin, der Amateurfunker, obwohl der Vater anbietet, der Junge könne bei ihm und Azra wohnen.

Mit seiner jungen Freundin stolziert der Heimkehrer in der Ortschaft herum. Mit Geld wirft er um sich, deshalb glaubt er alles zu bekommen.

Er hat sich total verändert, sagt Azra. Von Heirat ist schon lange nicht mehr die Rede. Deshalb wird ihre Liebe zu Divko merklich kühler. Manchmal hat sie den Eindruck, dass dessen Gefühle für den geliebten schwarzen Kater Bonny stärker sind als diejenigen für sie.

Daher stemmt sie sich nicht dagegen, als der eher zurückhaltende und taktvolle Martin ihr seine Liebe zu ihr gesteht.

Die Serben bombardieren das kroatische Dubrovnik. Der Krieg ist da. Jetzt hilft nur noch die rasche gemeinsame Flucht von Martin, Azra und einem serbischen Offizier. Divko allerdings will die Heimat auf keinen Fall wieder verlassen. Not und Gefahr schweißen sogar ihn und Lucija wieder zusammen.

Der Autor und Regisseur ist selbst Bosnier. Er weiß, wie der Krieg den Menschen geschadet hat, wie in Bosnien-Herzegowina die Serben auf die Kroaten losgingen und umgekehrt, wie die Muslime geschunden wurden, wie Folgen auch heute noch nicht überwunden sind.

Auch der Mikrokosmos der Ortschaft, in der der Film spielt, spiegelt diese Verwirrung, diese Gegnerschaft, diesen Hass, dieses Verlorensein wider, und zwar auf subtile, glaubhafte, zwar fiktive aber realistische Weise. Ein vom Drehbuch und der Dramaturgie her gelungenes wehmütiges Stück Geschichte, das menschlich nicht kalt lässt. (Man bedenke nur, dass auch Srebrenica in Bosnien-Herzegowina liegt.)

Die Darsteller spielen mit einer Überzeugung, die beeindruckt – allen voran Miki Manojlovic als der narzistische jähzornige Divko sowie Mira Furlan als die verzweifelte Lucija.

Thomas Engel