Club Zero

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Eine neue Lehrerin kommt an eine Privatschule und lehrt vom „bewussten Essen“. Im Grunde heißt das, so gut wie gar nichts zu essen, aber sich in Körper und Geist stärker zu fühlen. Zumindest redet sie das den Schülern ein, deren Eltern hilflos auf ihre hungernden Kinder reagieren. Der neue Film von Jessica Hausner ist eine konsequente Satire über Manipulation und Machtmissbrauch und dreht sich um eines der aktuellsten Themen überhaupt: der Frage, wie man Menschen begegnet, die begonnen haben, an alternative Fakten zu glauben.

Webseite: https://www.neuevisionen.de/de/filme/club-zero-141#

Österreich / Deutschland / Großbritannien / Frankreich / Katar / Dänemark 2023
Regie: Jessica Hausner
Buch: Jessica Hausner, Géraldine Bajard
Darsteller: Mia Wasikowska, Sidse Babett Knudsen, Amir El-Masry

Länge: 110 Minuten
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 28. März 2024

FILMKRITIK:

Miss Novak kommt neu an eine Privatschule. Sie wurde vom Elternbeirat empfohlen und nimmt sich einer kleinen Gruppe Schülern an, denen sie die Lehre vom bewussten Essen näherbringen will. Damit hat sie auch bei der Direktorin Erfolg. Sie spricht davon, wenig, aber bewusst zu essen. Kleine Bissen, lange kauen, und man wird sich stärker fühlen, körperlich, aber auch geistig. Die Jugendlichen sind von Miss Novak inspiriert, die ihnen schon bald erzählt, dass sie dem Club Zero angehört. Das sind Menschen, die gar nicht mehr essen, die es nicht müssen, die die Wahrheit erkannt haben, vor der die Mehrheit die Augen verschließt. Als die Jugendlichen es ihr nachtun, geraten die Eltern zusehends in Panik, da sie fürchten, ihre Kinder zu verlieren.

Die Prämisse ist faszinierend. Jessica Hausner hat nach dem Sci-Fi-Drama „Little Joe“ erneut einen eindringlichen, auf mehreren Ebenen funktionierenden Film abgeliefert. Oberflächlich geht es darum, dass die Jugendlichen nicht mehr essen. Was darunter brodelt, ist wirkmächtiger, denn die Schüler erliegen allesamt einer Lehre des Absoluten, das sie zu etwas Besonderem macht. Zu jenen, die das Licht erblickt, die Wahrheit erkannt haben, die nicht länger Schlafschafe sind – ein Wort, das hier nicht fällt, aber an das man denken muss. Sie sind absolut von ihrer neuen Wahrheit überzeugt. Dass der Mensch ohne Essen funktionieren kann. Dass Essen nur eine Doktrin der Masse ist. Dass jene, die des Essens abschwören, die Welt erben werden, wenn alle anderen untergehen.

Der Film spielt damit, wie Menschen in die Fänge einer Sekte geraten können, wie eine Führungsfigur das Denken und Fühlen von Menschen verändern kann, bis sie nicht wieder zu erkennen sind. Das macht „Club Zero“ so aktuell, weil der Film auch ein Kommentar auf die moderne Gesellschaft ist, in der einige sich vom gesamtheitlichen Konsens verabschiedet haben, um den eigenen Wahrheiten zu frönen. Wissenschaftliche Belegbarkeit spielt da keine Rolle mehr.

Das ist die Stärke von „Club Zero“, der wie Hausners frühere Filme sehr unkonventionell gefilmt ist. Die Bildkomposition, die Farbchoreographie, nicht zuletzt die teils atonale Filmmusik machen „Club Zero“ bemerkenswert eigen – bis hin zum Ende, das einmal mehr zeigt, wie beweglich die Wahrheit ist, wenn sie nicht länger durch Fakten, sondern durch puren Glauben unterfüttert wird.

 

Peter Osteried

FILMKRITIK:

Als es dem Elternbeirat eines piekfeinen englischen Elite-Internats gelingt, die hoch gelobte Ausnahmepädagogin Miss Novak an die Schule zu holen, sind die Mitglieder mächtig stolz auf sich. Ihre Kinder werden vom Wissen und pädagogischen Können der Dame sicherlich profitieren, und das ohne auch nur ohne den Hauch einer Gefährdung der zarten Kinderseelen. Was soll in einem Kurs über „bewusste Ernährung“ schon schiefgehen?

So ziemlich alles, wie sich schon bald herausstellt. Denn Miss Novak plant – ähnlich einem durchgeknallten James-Bond-Schurken – nichts weniger als die Neugestaltung der Welt nach ihren Vorstellungen bzw. nach denen einer „allmächtigen Mutter“, mit der sie im stillen Kämmerlein Zwiesprache hält. Ihre These: Die Welt soll durch den totalen Verzicht auf Nahrung verbessert werden. Schon nach relativ kurzer Zeit – und mit erstaunlich wenig Widerstand gegen einen derart radikalen Plan – hat Miss Novak ihre Schüler dazu gebracht, dem Geheimbund mit Namen „Club Zero“ beizutreten. Und damit nimmt das Unheil seinen Lauf. Als die Schulleitung und die Eltern ihr auf die Schliche kommen, ist es längst zu spät …

Ästhetisch orientiert sich Jessica Hausner an ihrem letzten Spielfilm „Little Joe“, und das bedeutet: streng stilisierte Bild-Arrangements und ebensolches Spiel der Darsteller. Das kommt oft ziemlich schrill und komisch rüber, doch wer sich nicht auf diese Künstlichkeit einlassen mag oder kann, könnte die Geschichte als arg plakativ empfinden. Die Zahl der Zuschauer, die nach den ersten fünf Minuten des Films immer noch nicht ahnen, wie das Ganze ausgeht, dürfte sich in sehr überschaubarem Rahmen halten.

Trotz des engen künstlerischen Rahmens, den die Inszenierung ihnen lässt, kann das Schauspielensemble überzeugen. Mia Wasikowska holt alles aus der Paraderolle der Miss Nowak heraus, und Luke Barker verdient sich als Fred ein Sonderlob: nicht nur für sein subtil-differenziertes Spiel, sondern auch für seine fein auf die Befindlichkeiten der Rolle abgestimmten Ballett-Einlagen.

Bei aller ästhetischen Eindeutigkeit ist „Club Zero“ ein überraschend uneindeutiger Film, dessen satirische Schärfe sich nicht auf ein einziges Ziel beschränkt. Jessica Hausner, die nicht nur Regie geführt, sondern auch als Co-Autorin das Drehbuch geschrieben hat, teilt nach allen Seiten aus: woke Lehrer und Elternhäuser, verbissene Ideologen, manipulative Sektengurus, wegschauende Opportunisten – alle bekommen ihr Fett weg, der Film ist eine Art Rundumschlag mit einer großen Auswahl an Lieblingsfeinden. Doch durch die Vielzahl der Ziele, auf die Jessica Hausner schießt, entsteht auch der Eindruck, dass es hier um die komplette Bloßstellung einer insgesamt lebensfeindlichen, kalten Gesellschaft geht.

 

Gaby Sikorski