Contra

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My Fair Lady im 21. Jahrhundert: Hier wird die Story vom hyperintelligenten Lehrer und seiner lernfähigen Schülerin, die er nach seinen Vorstellungen heranbilden will, so richtig aufgepeppt und bietet eine Paraderolle für Christoph Maria Herbst – er ist der zynische Professor. Nilam Farooq hält als seine Studentin nicht nur locker mit, sondern selbstbewusst dagegen und setzt mit ihrer frischen, sympathischen Art eigene Akzente.
Diese intelligente Komödie macht sehr viel Spaß! Gekonnt und mit gutem Timing inszeniert von Sönke Wortmann, bietet "Contra" wunderbar geschliffene Dialoge und eine Art Rhetorik-Grundkurs fürs Publikum. Zusätzlich gibt es durchaus realistische Einblicke in die Abgründe der bundesdeutschen Universitätsszene und ein bisschen Sozialkritik. Ein rundum gelungenes Kinovergnügen.

Webseite: www.constantin-film.de/kino/contra/

Deutschland 2020
Regie: Sönke Wortmann
Drehbuch: Doron Wisotzky (nach dem Spielfilm LE BRIO – dt. Titel: Die brillante Mademoiselle Neïla)
Darsteller: Nilam Farooq, Christoph Maria Herbst, Hassan Akkouch, Ernst Stötzner, Meriam Abbas, Mohamed Issa
Länge: 103 Minuten
Verleih: Constantin
Kinostart: 28.10.2021

FILMKRITIK:

Das hat er nun davon: Der rundum mit allen rhetorischen Mitteln bestens ausgestattete Professor Pohl muss sich vor dem Disziplinarausschuss verantworten, weil er eine Studentin im Hörsaal beleidigt hat, und zwar rassistisch, sexistisch und religionsfeindlich – also mit der vollen Breitseite eines hoffnungslos antiquierten, bildungsbürgerlich patriarchalen Elitedenkens. Für sein Fehlverhalten gibt es nicht nur genügend Zeugen, sondern auch noch ein Video, das ein Kommilitone in Umlauf gebracht hat. Der Shitstorm läuft bereits auf vollen Touren. Hier hilft nur eins: die Vorwärtsverteidigung. Pohl, der sich seiner Schuld keineswegs bewusst ist, lässt sich überreden, die junge Studentin unter seine Fittiche zu nehmen und für die Teilnahme an einem Debattierwettbewerb zu trainieren, um im vorauseilenden Gehorsam dem Disziplinarausschuss den Wind aus den Segeln zu nehmen und seine drohende Entlassung zu verhindern. Aber wie kann er sie davon überzeugen mitzumachen und bei ihm Rhetorik zu lernen? Und wer ist überhaupt diese Studentin? – Naima hat ihren ersten Tag an der Uni, sie hat lange davon geträumt, Jura zu studieren. Als Kind einer Einwandererfamilie lebt sie in beengten Verhältnissen in einem Vorstadt-Wohnsilo, sie kümmert sich um ihre Geschwister und hat schon mit der Bewältigung ihres Alltags alle Hände voll zu tun.

Die Gegner stehen im Ring, der Kampf kann beginnen. Nur auf den ersten Blick sind die Rollen ungleich verteilt. Auf der einen Seite steht der Professor, ein Unsympath, den der Standesdünkel wie ein silbrig funkelnder Overall umhüllt. Doch dieser starke Mann ist bereits angeschlagen. Sein Fehlverhalten hat ihn angreifbar gemacht. Auf der anderen Ringseite: die Studentin. Sie ist weitaus stärker, als es auf den ersten Blick aussieht, denn sie hat ihre Kommilitonen auf ihrer Seite, auch wenn sie – im Gegensatz zu ihrem streitsüchtigen Gegner – überhaupt kein Interesse an einer Konfrontation hat. Und sie verfügt über eine beachtliche Energie. Doch statt sich im Hörsaal gegen den ollen Zausel zu wehren, hat sie sich einfach hingesetzt, entgeistert und vollkommen perplex, keines Wortes mächtig. Und hier liegt das Problem, für dessen Lösung sich Professor Pohl anbietet. Er will ihr zeigen, wie sie sich mit Worten durchsetzen kann, ihr eine Art Grundausrüstung fürs künftige Berufsleben geben. Schließlich lässt sich Naima überzeugen und macht mit. Die erste Runde des Debattierwettbewerbs steht kurz bevor, und es gibt viel zu tun.

Wie sich die Geschichte weiterentwickelt, ist eigentlich zweitrangig, obwohl es durchaus spannend ist, dabei zu sein, wenn sich Naima und Pohl von einer Qualifikation zur nächsten durch die deutsche Uni-Landschaft arbeiten und sich im weiteren Verlauf gegen diverse Kontrahenten wie gegen Intrigen und Rachepläne zur Wehr setzen müssen. Im Vordergrund steht aber die Beziehung zwischen Naima und ihrem Professor. Dabei geht es glücklicherweise nicht um eine Love Story, sondern um die Kommunikation zwischen zwei mehr und mehr gleichwertigen Kontrahenten, die sich über ihre Arbeit immer näher kommen. Zwei komplett unterschiedliche Charaktere treffen dabei aufeinander: Ein hoch gebildeter und eloquenter Mann mit zahllosen Geheimnissen trifft auf eine Frau, die so viel Offenheit besitzt, dass er langsam aber sicher fast trotzige Verschlossenheit und seine distanzierte Steifheit aufgeben muss.

Diese Charakterzeichnung ist komplett auf Christoph Maria Herbst zugeschnitten – wie kaum ein anderer bekannter Schauspieler hierzulande verfügt er über das Charisma und das Handwerkszeug, um diese Rolle perfekt zu füllen. Seiner Aufgabe kommt er mit sichtbarem Vergnügen nach, was auch an seiner Gegenspielerin liegt. Nilam Farooq ist als Naima alles andere als eine „My Fair Lady“. Weder kokettiert sie mit ihrer proletarischen Vergangenheit noch schämt sie sich dafür. Sie ist deutlich kämpferischer als ihre literarischen Vorbilder, und sie zieht den besserwisserischen Kerl ganz unprätentiös und beiläufig auf ihre Seite. Das macht sie sehr charmant und humorvoll, ohne jedoch den kritischen Abstand aufzugeben, den sie für angemessen hält und schließlich einsetzt, um sich erwartungsgemäß von ihm abzunabeln. Christoph Maria Herbst stattet seinen Professor Higgins-Pygmalion mit einer zusätzlichen kräftigen Portion Standesdünkel und dafür mit etwas weniger Misogynie aus. Es gelingt ihm scheinbar mühelos, zu Beginn einen ganz und gar unangenehmen Zeitgenossen darzustellen, der erst nach und nach etwas mehr Menschlichkeit zeigen darf. Was diese beiden tollen Darsteller veranstalten, ist ein schauspielerischer Hochgenuss, so herrlich komisch wie entlarvend. Doch auch Hassan Akkouch soll erwähnt werden, der mit sehr viel Einfühlungsvermögen und Witz den Mo, Naimas Freund aus alten Sandkastenzeiten spielt, einen Taxifahrer, der deutlich sensibler ist als sie und über eine gehörige Portion gesunden Menschenverstand verfügt.

Das Drehbuch, das sich stark an die französische Komödie LE BRIO anlehnt (dt.: Die brillante Mademoiselle Neïla), spielt übermütig mit Klischees und Vorurteilen, und zwar teilweise dermaßen radikal, dass man manchmal nach Luft schnappt. Da wird in alle Richtungen getreten. Nur am Ende wird ein klitzekleines bisschen Pathos produziert. Aber es gibt auch ernsthafte Ansätze, beispielsweise in der Fragestellung, welche Chancen eigentlich junge Leute hierzulande haben, die nicht aus einem akademischen Elternhaus kommen und vielleicht zusätzlich weiblich und Migrantenkinder sind. Neben dem Mut zur frechen Satire und dem Spiel der beiden Hauptdarsteller ist es diese leise, stets gegenwärtige und ganz selbstverständliche Gesellschaftskritik, die den Film besonders auszeichnet, ohne ihn zu dominieren. Denn dieser Film ist vor allem eines: beste Kinounterhaltung!

Gaby Sikorski