Cortex

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In seinem Debüt als Regisseur und Drehbuchautor nimmt Moritz Bleibtreu die Zuschauer mit auf einen irren Trip ins Unterbewusstsein. Christopher Nolan hätte seine helle Freude daran, denn „Cortex“ enthält viel „Memento“-DNA. Ein selbstbewusstes Debüt mit einer gehirnverdrehenden Geschichte und von berauschender Optik.

DE 2020
Drehbuch und Regie: Moritz Bleibtreu
Darsteller: Moritz Bleibtreu, Jannis Niewöhner, Nadja Uhl, Nicholas Ofczarek, Anna Bederke, Marc Hosemann
Verleih: Warner Bros.
Länge 94 Min.
Start: 22. Oktober 2020

FILMKRITIK:

Hagen (Moritz Bleibtreu) träumt schlecht. Jede Nacht. Das geht nun schon so lange, dass er tagsüber kaum imstande ist, ein normales Leben zu führen. Auch seine Frau (Nadja Uhl) beobachtet besorgt den körperlichen und psychischen Verfall ihres Gatten, den sie langsam nicht mehr wiedererkennt. Als in Hagens Träumen plötzlich immer wieder ein junger Mann (Jannis Niewöhner) auftaucht, gerät sein Leben endgültig außer Kontrolle. Denn dieser Mann nährt Paranoia, die Hagen bislang ganz gut unterdrücken konnte. Und schon bald glaubt er nicht einmal mehr, dass der Mann, den er im Spiegel sieht, wirklich er selbst ist…

Bei einem Presseevent anlässlich des bevorstehenden Kinostarts von „Cortex“ bemerkte Regiedebütant Moritz Bleibtreu („Nur Gott kann mich richten“), dass die eingeladenen Journalisten einen nahezu erleichterten Eindruck darüber machten, dass der als Schauspieler aus zahlreichen Rollen bekannte Mime seinem Publikum endlich mal etwas zutraue. Denn ohne zum allgemeinen Rundumschlag gegen das deutsche Kino auszuholen (den es definitiv nicht verdient hätte): Dass aus deutschen Landen ein Psychothriller mit mehr als einem doppelten Boden erscheint, der noch dazu auf richtig hohem, sowohl erzählerischen als auch inszenatorischen, Niveau gemacht ist, kommt eben einfach nicht so oft vor. Doch Bleibtreu geht mit seinem an Filme wie „Memento“ oder „Trance“ erinnernden Debüt ein großes Wagnis ein, indem er einem vorzugsweise aus dem Comedy-Sektor bekannten Thema ein Genre-Gewand überstülpt. Und auch wenn Bleibtreu selbst die Erlaubnis gab, diesen entscheidenden Teil der Filmhandlung vorwegzunehmen, wollen wir an dieser Stelle darauf verzichten, zu viel über die Handlung zu verraten. Das würde diesem kopfzermalmenden Mindfuck dann doch viel seines Spaßes berauben.

So viel darf aber gesagt werden: „Cortex“ strapaziert die Nerven seines Publikums auf die wohl angenehmste Weise. Bleibtreu fordert seine Zuschauer heraus; wirft ihnen einzelne Erzählbrocken vor die Füße, die wie Puzzleteile schließlich ein großes Ganzes ergeben. Die zentralen Fragen: Wer ist Hagen? Was hat es mit den Träumen auf sich? Und wer um aller Welt ist dieser junge Mann, der in seinen Träumen eine Affäre mit seiner Ehefrau hat?
Hat man den entscheidenden Kniff des Films durchschaut – und es ist überhaupt nicht schlimm, wenn nicht – ist schon einmal viel gewonnen. Doch das komplette Rätsel zu entschlüsseln, wird einem bei einem einzigen Mal Schauen kaum gelingen. Dafür finden sich zu viele Details, die einer genaueren Betrachtung bedürfen. Das lässt sich bei einem einzelnen Kinobesuch gar nicht alles erkennen.

Was sich aber sehr wohl erkennen lässt, ist, dass Moritz Bleibtreu für sein Filmdebüt groß gedacht hat. Sein über alle Maße selbstbewusst inszenierter Thriller hat Leinwandausmaße, wie man sie im deutschen Film sonst selten zu sehen bekommt. Die Art, wie Kameramann Thomas W. Kiennast („Das finstere Tal“) die Hansestadt Hamburg als unheilvollen Quell menschlicher Abgründe inszeniert, ist – im wahrsten Sinne des Wortes – verdammt großes Kino, in dem sich auch die Hauptdarsteller mindestens genauso selbstsicher bewegen. Nicht nur Bleibtreu macht als von Träumen gebeutelter Hagen eine starke Figur, vor allem Jannis Niewöhner („Jugend ohne Gott“) besticht mit einer Superstar-Attitüde, vor der die Schauspielqualitäten besonders zur Geltung kommen. Unter diesen Voraussetzungen können wir Bleibtreus nächsten Film – der angeblich bereits fertig geschrieben ist – kaum erwarten.

Fazit: Ein selbstbewusstes Debüt mit einer gehirnverdrehenden Geschichte und von berauschender Optik.

Antje Wessels