Das Flüstern der Felder

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Nach „Loving Vincent“ ist der neue Film des Regie-Duos DK und Hugh Welchman wieder etwas ganz Besonderes, obwohl mit einer ähnlichen Technik gestaltet. Die nachträglich von Hand übermalten Kamerabilder schaffen eine manchmal nahezu rauschhafte Atmosphäre. Vor dem Hintergrund eines der bekanntesten polnischen Romanwerke - „Die Bauern“ („Chlopi“) von Władysław Reymont – entstand ein Drama voller Pathos und Emphase rund um das Schicksal der schönen Jagna, eines Bauernmädchens zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Webseite: https://plaionpictures.com/
Polen, Serbien, Litauen 2023
Regie und Drehbuch: DK & Hugh Welchman
Darsteller: Kamila Urzedowska, Robert Gulaczyk, Miroslaw Baka
Kamera: Radosław Ładczuk, Kamil Polak, Szymon Kuriata
Musik: Łukasz „L.U.C“ Rostkowski
Länge: 114 Minuten
Verleih: Plaion Pictures
Start: 12.09.2024

FILMKRITIK:

Wann wird wohl endlich jemand Jagna den Wodka bringen? – In dem kleinen ostpolnischen Dorf Lipce steht diese Redewendung für den Heiratsantrag eines Mannes. Aber Jagna denkt gar nicht daran zu heiraten. Sie ist so schön wie freiheitsliebend, und auch wenn sie gern mit Männern flirtet, denkt sie gar nicht daran, sich zu binden. Doch die Entscheidung wird ihr abgenommen, denn ihre Mutter will sie unbedingt mit dem reichen Großbauern Boryna verheiraten. Mit dessen verheiratetem Sohn Antek flirtet Jagna am liebsten. Sie fügt sich dem Willen der Mutter, die sich davon blenden lässt, dass Jagna für die Heirat wertvolle Geschenke, darunter ein großes Stück Land, von Boryna erhält. Wie kaum anders zu erwarten, stößt Borynas Großzügigkeit bei seiner Familie nicht gerade auf Zustimmung. Antek, seine Frau und die gesamte Verwandtschaft haben ohnehin kein gutes Verhältnis zu Boryna. Jagnas Start in die Ehe gerät zum Desaster. Die unkonventionelle junge Frau wird immer mehr zum Gesprächsthema, und es dauert nicht lange, bis Jagna die gesamte Dorfgemeinschaft gegen sich aufgebracht hat.

Was wie in einer bukolischen Idylle beginnt, entwickelt sich nach und nach zu einem Melodram mit tragischen Zügen. Die schöne Jagna ist zu Beginn eine lebensfrohe, naturverbundene junge Frau, die so ganz anders wirkt als ihre braven Altersgenossinnen. Schon allein durch ihre farbenfrohen Gewänder sticht sie aus jeder Gruppe heraus. Alle Männer sind verrückt nach ihr, und Jagna genießt ihre Aufmerksamkeit, ihre Geschenke und sogar ihre Eifersucht, sie flirtet völlig hemmungslos mit Antek in der Kirche. Kaum verheiratet, lässt sie sich auf wilde Tänze mit anderen Männern ein und spielt offensiv mit ihrer sexuellen Anziehungskraft, gilt als Hure und Hexe, bei Männern wie bei Frauen. Dass sie für jedes auch nur ansatzweise auftretende Unglück verantwortlich gemacht wird, ist dann kaum noch erstaunlich. Aber Jagna tut nichts gegen ihren schlechten Ruf und gegen die Abneigung, die ihr entgegengebracht wird und sich zum Hass steigert. Es scheint so, als ob sie zur falschen Zeit am falschen Ort ist – eine Frau, die nicht hierherpasst und die es weiß.

Für diese tragische Geschichte haben DK und Hugh Welchman das epische Werk des Literaturnobelpreisträgers Władysław Reymont auf Spielfilmlänge verkürzt. Dabei haben sie die Struktur beibehalten: Der Film beginnt im Herbst und läuft chronologisch durch die Jahreszeiten. Doch was mit idyllischen Bildern von der ländlichen Natur beginnt – mit Distelblüten, die der Wind verweht, geht weiter mit den Menschen, die nur auf den ersten Blick eine Gemeinschaft darstellen. In Wahrheit sind sie untereinander zerstritten, sie feinden sich an, es gibt mehrere Fraktionen, die sich bekämpfen, und darüber liegt wie ein dicker, dunkler Brei der ewige Tratsch, dem sich jeder und alles fügen muss. Ein freiheitsliebender, unkonventioneller Mensch wie Jagda passt da überhaupt nicht ins Bild. Was hier zunächst mit feinem, sanftem Pinselstrich in aufwendiger Handarbeit entworfen wird – die Übermalung eines kompletten Films – ist nicht nur ein eigenes Kunstwerk, sondern unterstreicht die Wirkung des Films, anders als in „Loving Vincent“, aber mit ähnlichen Folgen. Jagdas Leben eskaliert zum Rausch der Farben und der Emotionen.

Gaby Sikorski