Das leere Grab

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Es ist mehr als 100 Jahre her, aber es lässt die Familie der Nachkommen nicht los. Zu Zeiten des deutschen Kolonialismus wurden Menschen getötet und ihre Gebeine nach Deutschland gebracht – für pseudowissenschaftliche Untersuchungen. Diese sterblichen Überreste wurden niemals zurückgegeben, und auch heute kämpfen noch viele Afrikaner dafür, dass ihren Ahnen Gerechtigkeit widerfährt und sie nach Hause zurückkommen. Der Dokumentarfilm „Das leere Grab“ wirft einen Blick auf einen Teil deutscher Geschichte, der von der Schreckenszeit des Holocausts zu lange überschattet wurde.

Webseite: https://salzgeber.de/dasleeregrab

Deutschland / Tansania 2024
Regie: Cece Mlay, Agnes Lisa Wegner
Buch: Cece Mlay, Agnes Lisa Wegner
Darsteller: Ernest Kaaya, Felix Kaaya, Cesilia Mbano

Länge: 97 Minuten
Verleih: Salzgeber
Kinostart: 23. Mai 2024

FILMKRITIK:

In deutschen Museen lagern Tausende menschlicher Überreste. Abgetrennte Köpfe und Gebeine von Afrikanern, die unter der Kolonialzeit im damaligen Deutsch-Ostafrika litten. Der Film folgt zwei Familien, die im Dschungel der Bürokratie in Deutschland und Tansania versuchen, die Überreste ihrer Vorfahren zurückzubekommen. Weil dies ein Familienschmerz ist, der ansonsten nicht geht, aber auch, weil es die Würde des Menschen gebietet, dass die Gebeine nicht in Museen ausgestellt werden. Das deutsch-tansanische Regieduo Agnes Lisa Wegner und Cece Mlay folgen diesen zwei Familien – auch auf ihrem Weg nach Deutschland, wo sie beim Auswärtigen Amt vorstellig werden. Aber die Mühlen der Bürokratie mahlen langsam. Weit langsamer, als es die meisten Menschen verstehen, darunter auch Schüler einer deutschen Klasse, die mit der Geschichte konfrontiert werden und nicht nur für ihre Vorfahren um Entschuldigung bitten, sondern auch zurecht der Meinung sind, die Gebeine sollten schnellstmöglich zurückgegeben werden.

Wenn in Tansania jemand stirbt, dann trauert die Familie 40 Tage lang. Aber wenn man nur ein leeres Grab hat, dann endet die Trauer nicht. Hier trauern Menschen um Vorfahren, die sie niemals kannten, die vor mehr als 100 Jahren starben, und die doch einen Schmerz zurückgelassen haben, unter denen ihre Familien noch immer leiden. Das mag in einem Land wie Deutschland, wo die meisten schon Schwierigkeiten haben dürften, überhaupt die Namen der Urgroßeltern zu nennen, wenig verständlich sein, aber der Wunsch, die Toten nach Hause zu bringen, zeugt auch von einem extrem stark ausgeprägten Familiensinn – den kann man sehr gut verstehen.

Mit ihrem Film machen die beiden Autoren und Regisseure auch auf eine Zeit aufmerksam, die mit dem Ende des Ersten Weltkriegs endete und danach vom Zweiten Weltkrieg überschattet wurde. Aber auch in den Kolonien gab es Gräuel und Massenmorde – die Deutschen zeigten sich von ihrer schlechtesten Seite. Das mag in anderen Kolonien nicht besser gewesen sein, illustriert aber nur das rassistische Gedankengut, das in den westlichen Zivilisationen vorherrschte. Dies ist aber auch ein Stück Historie, das längst nicht so aufgearbeitet wurde, wie das mit dem Zweiten Weltkrieg geschah. Etwas, das längst überfällig ist.

„Das leere Grab“ kann dazu beitragen, den Diskurs über ein Stück deutscher Geschichte anzutreiben, die auch im Kleinen beginnt – etwa damit, dass Straßen, die nach Massenmördern der Kolonialzeit benannt sind, umbenannt werden, weil diese Menschen die damit verbundene Ehrung nicht verdient haben. Ein wichtiger Film. Über den Wert der Familie, über die Verbundenheit zu jenen, die vor uns kamen, und über die Verantwortung, die damit einhergeht.

 

Peter Osteried