Das Mädchen Hirut

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Allein das ein Film komplett in Äthiopien produziert wird, ist bemerkenswert. Das sich Zereesenay Berhane Mehari in seinem Spielfilmdebüt „Das Mädchen Hirut“ zudem des Themas Zwangsehe annimmt, weist ihn als engagierten Film aus. Angesichts dieser Pluspunkte kann man es auch verschmerzen, dass das Ergebnis eher didaktisch geraten ist und oft einem Pamphlet ähnelt.

Webseite: www.alamodefilm.de

OT: Difret
Äthiopien 2014
Regie und Buch: Zereesenay Berhane Mehari
Darsteller: Meron Getnet, Tizita Hagere, Haregewine Assefa, Brook Sheferaw, Mekonen Laeke, Meaza Tekle
Länge: 99 Minuten
Verleih: Alamode Film
Kinostart: 12. März 2015
 

FILMKRITIK:

Äthiopien, 1996. Ein paar Stunden Autofahrt von der Hauptstadt Addis Abeba entfernt geht die 14jährige Hirut (Tizita Hagere) zur Schule, was schon dadurch bemerkenswert ist, dass diese ländliche Region von patriarchalischen Strukturen geprägt ist und Bildung für Frauen als irrelevant betrachtet wird. Diesen Strukturen entsprechend wird Hirut eines Tages Opfer der so genannten Telefa, bei der ein Mann seine zukünftige Braut einfach entführt und mit Gewalt zu seiner Ehefrau macht. Doch ehe es soweit kommt – allerdings nicht bevor sie vergewaltigt wurde – ergreift Hirut die Gelegenheit zur Flucht, auf der sie mit einem Maschinengewehr ihren Entführer und Vergewaltiger erschießt.

Einerseits hat sie nun Glück, dass sie von der Polizei aufgegriffen und nicht gelyncht wird, andererseits steht ihr im anstehenden Prozess unweigerlich die Todesstrafe bevor. Doch dies sucht die Anwältin und Frauenrechtsaktivistin Meaza Ashenafi (Meron Getnet) zu verhindern, die in Addis eine NGO leitet. Auch wenn noch nie ein Mädchen oder eine junge Frau in einem vergleichbaren Fall freigesprochen wurde, setzt Meaza alles dran, Hirut freizubekommen und nimmt dabei auch persönliche Gefahren in Kauf.

„Difret“ lautet der Originaltitel von Zereesenay Berhane Mehari Spielfilmdebüt, was in der äthiopischen Nationalsprache Amharisch zwei Bedeutungen hat: „Mutig sein“, aber auch „vergewaltigt werden“. Diese Doppeldeutigkeit ist in einem deutschen Wort natürlich nicht wiederzugeben und so wählte der Verleih einen Titel, der sich deutlich an einem letztjährigen Erfolgsfilm orientiert: „Das Mädchen Wadija.“ Auch dort ging es um patriarchalische Strukturen und die Unterdrückung von Frauen, doch hier hören die Ähnlichkeiten auf. Denn so subtil und vielschichtig wie der saudiarabische Film ist „Das Mädchen Hirut“ nicht geraten.

Vom ersten Moment an lässt Mehari keine Zweifel an seiner Intention, die ganz ohne Frage eine hehre ist. Dass sein Film auch von der äthiopischen Regierung unterstützt und gefördert wurde, zeigt, dass sich seit dem hier geschilderten Fall, der sich 1996 tatsächlich zugetragen hat, viel verändert hat. Zwar war auch damals die Telefa schon offiziell verboten, doch gerade in den ländlichen Regionen Äthiopiens wurde diese grausame Tradition weiter fortgeführt, nicht zuletzt durch fehlendes Bewusstsein und ein mangelndes Rechtssystem. Der Erfolg, den die Anwältin Meaza Ashenafi für ihre Mandantin errang, hat das Thema Braut-Raub und Zwangsverheiratung auf die nationale Agenda geholt und dazu beigetragen, dass sich die Situation für junge Frauen verbessert.

Das diese auch heute, fast 20 Jahre später nicht gut sind, verleiht Meharis Film eine Relevanz, die ihm nicht zuletzt im Westen, wo „Das Mädchen Hirut“ schon auf etlichen Festivals zu sehen war, Aufmerksamkeit garantiert. Dass er als Film eher schlicht ist, sowohl filmisch als auch erzählerisch, mag man da verschmerzen. Interessant wäre es dennoch gewesen, wenn es Mehari häufiger gewagt hätte, das Leben in Äthiopien einfach zu zeigen und nicht so didaktisch zu bewerten. Als Film und nicht als Pamphlet ist „Das Mädchen Hirut“ immer in solchen Momenten sehenswert. Wenn etwa eine Dorfversammlung beobachtet wird, in der vom Ältestenrat über die Folgen von Hiruts Entführung und dem Tod ihres Peinigers diskutiert wird und das offizielle Rechtssystem keine Rolle spielt wird, weit mehr über traditionelle Strukturen erzählt und die Schwierigkeit, sie zu durchbrechen, als in noch so engagierten Monologen. Mehr solcher Szenen, und „Das Mädchen Hirut“ wäre ein wirklich guter Film geworden. So ist er vor allem ein engagierter Film mit einem wichtigen Anliegen.
 
Michael Meyns