Das schaffen wir schon

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Kurz vor der Bundestagswahl wird ein Polit-Talk ausgestrahlt, als plötzlich etwas Unerwartetes passiert: Eine verzweifelte Frau stürmt herein und nimmt die Politiker als Geiseln. Sie fordert die Abschaffung von Hartz IV– live und vor Millionen Zuschauern. Die Lage droht zu eskalieren. Die teils überspitzte und allzu klamaukige, teils aber treffend schwarzhumorige Polit-Satire „Das schaffen wir schon“, ist zu weiten Teilen gelungen. Mit geringem Budget realisiert, legt sie genüsslich und extrem bissig die Paradoxien und den Wahnwitz des Polit-Zirkus offen. Nur die Einführung der Charaktere hätte mehr Zeit verdient gehabt. 

Webseite: www.drei-freunde.de

Deutschland 2017
Regie: Andreas Arnstedt
Drehbuch: Andreas Arnstedt
Darsteller: Marie Schöneburg, Constantin von Jascheroff, David C.
Bunners, Manuela Biedermann, Dorothea Schenck
Lisa Kreuzer - Johanna Griebe
Länge: 90 Minuten
Verleih: drei-Freunde
Kinostart: 07. September 2017

FILMKRITIK:

Die Talkshow „6 gegen 90“ bietet ihren Polit-Gästen kurz vor der Wahl stets noch einmal die Möglichkeit, ihre Positionen darzulegen. So auch in der letzten Sendung vor der Kanzlerwahl 2017, in die u.a. Angela Merkel (Manuela Biedermann), Cem Özdemir (Patrick Khatami), Andrea Nahles (Barbara Romaner) und auch der Chef einer Zeitarbeitsfirma – quasi als „Stimme des Volkes“ – eingeladen wurden. Plötzlich stürmt eine verzweifelte Arbeitslose (Marie Schöneburg) das Studio und nimmt die Politiker und den Firmenchef, der sie einst feuerte, als Geiseln. Ihre Forderung: Abschaffung von Hartz IV und Einführung eines Grundeinkommens. Schnell herrschen chaotische Zustände – und das alles vor laufender Kamera.

Bereits 2016 war eine Geiselnahme in einem TV-Studio im Kino zu sehen. In „Money Monster“ war es der gelackte Finanz-Jongleur George Clooney, der vor laufender Kamera bedroht wurde. In „Das schaffen wir schon“ richtet sich der Hass der Geiselnehmerin nicht gegen den Finanzmarkt oder Geldhaie sondern gegen die Unfähigkeit der Politik und soziale Ungerechtigkeiten in Deutschland. Laut eigener Aussage wollte Regisseur Andreas Arnstedt mit seiner Polit-Satire die „Absurditäten des Polit-Alltags“ aufzeigen. Es ist sein viertes Regie-Werk, davor war er viele Jahre als Schauspieler aktiv (u.a. „Die Wache“, „Balko“).

Der Titel des Films – „Das schaffen wir schon“ – ist natürlich eine sehr deutliche Anspielung an den berühmten Ausspruch der Kanzlerin auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Dass die Geiselnehmerin in keiner Weise an Themen wie diesen – Flüchtlingskrise, ISIS, Terror etc. – interessiert ist, macht sie ihren Opfern im Studio recht schnell klar. Ebenso schnell kommt der Film zur Sache. Es vergehen nur knapp 20 Minuten, bis die Geiselnehmerin im Studio die Pistole zückt und das Chaos in Gang gesetzt wird.

Eine etwas intensivere, längere Vorstellung und Charakterisierung der Geiseln und sonstiger Protagonisten – vom Produzenten der Show über die Moderatoren-Assistentin bis hin zum ermittelnden Polizisten – wäre ratsamer gewesen. Mehr Hintergrundwissen über die Personen, hätte zu mehr Nähe zu den Protagonisten führen können. In der Folge ergibt sich damit im besten Fall ein höheres Identifikationspotential  für den Zuschauer. So lässt ihn das Schicksal der Geiseln alles in allem vermutlich doch eher kalt. Kalt aber lässt einen sicher nicht das Schicksal von Susanne Kleinke, der „Amokläuferin“. Sie steht quasi stellvertretend  für all jene in Deutschland, die sich entweder von Leiharbeit zu Leiharbeit hangeln müssen oder trotz einer Vollzeitstelle von ihrem Einkommen nicht leben können.

Dies war ein geschickter Schachzug der Macher, um für den – eigentlich ja klassischen – „Feind“ bzw. Antagonisten im Film, beim Zuschauer Empathie oder sogar Sympathie entstehen zu lassen. Kleinke spricht vielen (echten) Betroffenen aus der Seele, u.a. wenn sie mehr Chancengleichheit fordert. Oder erklärt: „Damit wir ein bisschen Ruhe im Land haben und jeder eine Chance hat“, wie sie es auf den Punkt bringt. Und ganz nebenbei will sich Kleinke natürlich auch noch an ihrem Ex-Chef rächen.
Was dann folgt ist u.a. ein zwar hin und wieder arg übertrieben-klamaukiges, stets aber augenzwinkerndes und unterhaltsames Offenlegen des teils absurden Polit-Theaters. Schicht um Schicht. Es geht z.B. um die Absurdität der immer gleichen, floskelartigen Wahlversprechen oder das ungerecht verteilte Vermögen in einem der reichsten Länder der Welt.

Ab und an fehlt es an Logik (warum z.B. ist Herausforderer Martin Schulz (SPD) nicht in der Sendung), insgesamt aber überwiegen vor allem in Hälfte Zwei die kreativen und heiteren Einfälle: z.B. die Probleme beim Entschärfen eines technisch besonders anspruchsvollen Sprenggürtel-System, aus dem sich die Geiseln befreien müssen. Oder der charmante Gastauftritt von Star-Schauspieler David Bennent („Die Blechtrommel“) als gesuchter Sprengstoff-Experte, der die Seiten gewechselt hat.

Björn Schneider